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Rezension - Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg 'Heimatfront' und besetztes Europa
Die Gestapo im Zweiten Weltkrieg 'Heimatfront' und besetztes Europa
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Gerhard Paul
Klaus-Michael Mallmann
Primus Verlag
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ISBN: 3-89678-188-X
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In 27 verschiedenen Beiträgen zum Thema "Gestapo im Zweiten Weltkrieg" zeichnen die Herausgeber Paul und Mallmann ein erschütterndes Bild von den Verbrechen der legendären Geheimen Staatspolizei zwischen 1933 und 1945. Die Zentrale Idee in fast allen Beiträgen ist, daß die Gestapo, auf der Grundlage der alten preussischen Geheimpolizei und den Traditionen der Weimar-Republikanischen Polizeibeamten aufbauen konnte und keineswegs eine monolithische, durchstrukturierte Organisation war, die alles sah, alles wußte und alles erreichen konnte. Dieser Mythos wurde zwar gepflegt und ganz bewußt gefördert, trifft aber nicht die Wahrheit. Im Gegenteil: Die Gestapo war eine Organisation in Bewegung, gegründet, nicht nur, um politische Gegner auszuschalten, wie es in allen autoritären Systemen der Fall ist, sondern vielmehr zu dem Zweck, präventiv auf alle möglichen Gefahren zu reagieren. Unter solchen Gefahren verstanden die Vordenker der Gestapo die bloße Existenz von Juden, Oppositionellen, Zwangsarbeiter und wie die lange Liste der Opferkategorien weitergeht. Dabei griff die Gestapo auf auch auf V-Männer zurück, ein nicht immer funktionierendes Instrument der Überwachung feindlicher Bestrebungen. Das Hitler-Attentat etwa überraschte die Gestapo vollkommen, doch umso schlimmer war die Rache. Die eigens für die Gestapo eingerichteten Arbeits-erziehungslager füllten sich im Laufe des Krieges immer mehr und aus der ursprünglichen 3-wöchigen Disziplinarstrafe für Zwangsarbeiter aus Osteuropa (etwa wegen zu geringer Arbeitsleistung, sogenannten "Arbeitsvertragsbruch" oder Widerspruch) wurde ein fast garantiertes Todesurteil durch Hunger, Kälte, Gewalt oder Krankheit. In Ihrem hervorragend geschriebenen Beitrag stellt Gabriele Lofti dieses Kapitel dar.
Im Windschatten der Armeen rückten die Einsatzgruppen der Gestapo in die eroberten Gebiete ein und begannen, gemäß ihres Auftrags das Land zu entvölkern, dörferweise verschwanden die Siedlungen, weil sie für Partisanen leicht zu erreichen waren, weil Kochgeschirr deutscher Soldaten gefunden wurden oder weil die Bewohner keine Partisanenvorfälle meldeten, was als klarer Beweis der Partisanensympathie galt. Den Gestapoleuten war bewußt, daß sie durch diesen Krieg gegen die Zivilbevölkerung die Stärke der Partisanen erhöhten, denn mit jedem zerstörten Dorf wuchs die Zahl der Obdach- und Heimatlosen. Die Gestapo führte somit ihre eigene Gegnerschaft maßgeblich mit herbei. das zeigt Andrej Angrick in seinem Beitrag, den man jedem deutschen Schüler zu lesen geben sollte.
Ein wichtiges Buch ist damit entstanden, durchgängig auf höchstem Niveau und klar im Aufbau, wenn auch Kartenmaterial fehlt, was man bei der Lektüre ebenso vermißt, wie Organigramme, die das institutionelle Gestrüpp des Nazistaates darstellen. Dadurch könnte besser gezeigt werden, wie die Kompetenzüberschneidungen der einzelnen Parteigliederungen, und Verfassungsorgane dafür sorgten, daß an entscheidenden Stellen der Politik Freiraum entstand, der mit Willkür gefüllt werden konnte.
Im Laufe ihres Bestehens radikalisierte sich die Arbeit der Gestapo im gleichen Maße wie die Mitarbeiter verrohten, wie im Beitrag von Michael Wildt klar dargestellt wird. Gegen Ende des Krieges in einen wahren Blutrausch verfallen, exekutierten die Beamten reihenweise Gefangene, richteten Zwangsarbeiter auf Gutdünken hin und ermordeten, gesetzlich gut abgesichert, Zivilisten, alliierte Piloten, und Häftlinge. Es ist ein erschütterndes Buch, auch weil die Nachgeschichte nicht außer acht bleibt und wir darüber erfahren, wie wenige der Verantwortlichen für Ihre Verbrechen nach dem Krieg bestraft wurden, erschütternd auch die Geschichte der Kollaboration der Zivilbevölkerung in den besetzten Ländern, die die Machtvollkommenheit der Gestapo nutzen, um private Rechnungen zu begleichen und sich zu bereichern.
Erst ganz am Schluß des Buches, man ist erstaunt, daß es erst hier kommt, finden wir Parallelen zum MfS der DDR, einer ebenso verbrecherischen, wenn auch bei weitem nicht so blutigen Organisation, die mit ihren 91 000 Mitarbeitern 0,6% der Bevölkerung ausmachte, bzw. mehr als ein Prozent, wenn man die 174 000 inoffiziellen Mitarbeiter dazurechnet. Die Gestapo erreichte solche Ausmaße nie, aber das war auch nicht notwendig, angesichts der enormen Kooperationswilligkeit der Bevölkerungen, wie es im Beitrag der Herausgeber über den gesellschaftlichen Rückhalt gezeigt wird.
A.M.
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