#!/usr/bin/perl print qq§Content-Type: text/html §;

Tritt man als frischimmatrikulierter Student des Sozialwesens in die Hochschule ein und hat noch keine klaren Vorstellungen vom Beruf des Sozialarbeiters, wird gleich im ersten Semester versucht, vorwiegend auf theoretischem Gebiet, Einblicke ins Berufsbild zu geben. Wörter wie Arbeitsfeld, soziales Problem, Armut und Gegenstand beispielsweise werden zu immer wieder gebrauchten Schlagwörtern. Ich werde aufgefordert, theoretische Abhandlungen von wissenschaftlichen Experten auf dem Gebiet der Sozialarbeit zu studieren. Beim Versuch dies zu verwirklichen, stoße ich schnell an die Grenzen meiner derzeitigen Leistungsfähigkeit. Ich frage mich, ob die Verfasser denn in derselben Muttersprache reden, die ich selbst gelernt habe. Hat man die eine oder andere praktische Vorerfahrung, wundert man sich weiterhin, wie unverständlich und lebensfremd einem klare Problemstellungen im wissenschaftlicher Ausdrucksweise erscheinen. Nebenbei lerne ich aber zu verstehen, daß der Frage nach dem Gegenstand des zu studierenden Faches nicht zu unterschätzende Bedeutsamkeit zukommt. Ich möchte wissen, was der Sozialarbeiter denn nun tut, was sein Aufgabengebiet ist und andererseits natürlich, wofür er nicht zuständig ist. Gleichzeitig stellt sich damit die Frage, was Sozialarbeitswissenschaft leisten muß, was sie erforschen soll, was sie vermitteln soll und womit sie sich nicht zu beschäftigen braucht.

Zunächst denkt man, daß dies doch recht einfach zu beantworten sein müßte. Der Informatikstudent lernt mit Computern umgehen. Er beschäftigt sich nicht mit internistischen Krankheiten. Der Chemiker lernt etwas über die stoffliche Zusammensetzung unserer Erde. Er muß keine Abhandlungen über Baustatik verfassen. Der Student des Sozialwesens beschäftigt sich mit... ?

Spätestens hier komme ich ins Grübeln. Ich lese, wie sich Silvia Staub-Bernasconi an den Gegenstandsbegriff annähert. Neben ihren Versuchen zu strukturieren, zu klassifizieren und einzuordnen, wer oder was als "soziales Problem" zu betrachten ist, bestimmt sich dies für sie als der Gegenstand oder besser: der von der Sozialen Arbeit zu betrachtende Wirklichkeitsausschnitt. Gleich anschließend gibt sie eine Reihe von Beispielen für "soziale Probleme". (1)

Schon hier spüre ich Einengung, begrenzte Sicht. Verliert sie nicht beim Blick auf das Einzelne die Verantwortung für das Ganze? Und wird nicht schon durch das Festmachen am "sozialen Problem" eine Begrenztheit deutlich? Wer bestimmt denn im täglichen Leben, was als "soziales Problem" gilt und was nicht? Fallen nicht die Menschen, die solche Sorgen haben, welche nicht als "sozial problematisch" erkannt und anerkannt sind, durch das Raster?

Auch Peter Lüssi greift das Modell "soziales Problem" auf und versucht zu erklären was er darunter versteht. Er will diesen Begriff berufsspezifisch definieren - und zwar anhand des empirischen Kriteriums: vor welche konkreten Probleme sieht sich der Sozialarbeiter tatsächlich gestellt und was ist dabei nicht anerkanntermaßen Gegenstand eines anderen Berufes. (2) Er spricht von mangelnder Konzentrierung des sozialarbeiterisch-spezifischen Aufgabengebietes und von Mangel an sozialarbeiterischer Spezifität. (3)

Das sind wiederum Versuche das Aufgabenfeld der sozialen Arbeit zu konzentrieren und spezifizieren, was geschieht, empfinde ich erneut als Eingrenzung und Einengung.

Besonders deutlich wird mir dies als Lüssi schreibt, daß Spannungen, Konflikte und Entfremdung, die in einer Familie im normalen Rahmen auftreten (ohne eigentliche Entzweiung der Familie, ohne Verhaltens- und Leistungsstörungen des Jugendlichen, ohne Verzweiflungsempfinden eines Beteiligten) nicht als "soziales Problem" anzusehen sind. (4)

Was ist schon ein normaler Rahmen? Wann fühle ich mich verzweifelt? Was ist eine "eigentliche Entzweiung" einer Familie? Alles Fragen, die auf die Enge dieser Formulierungen hindeuten.

Bernhard Haupert plädiert in seinen Überlegungen für die Ausbildung einer spezifisch sozialarbeiterisch orientierten sozialwissenschaftlichen Grundlagentheorie mit Fall- und Feldorientierung. Damit könne die spezifische Differenz zu fallorientierten Professionen benannt werden. (5) Abgesehen von der Erfindung solcher schwer zu verstehender Wortkolosse, frage ich mich wiederum, ob diese Differenzierung zu anderen Berufen überhaupt möglich und letztlich überhaupt nötig ist.

Mir wird immer klarer, daß alle Versuche, die Sozialarbeit gegenüber anderen Berufen und Wissenschaften klar abzugrenzen, problematisch erscheint. Man müsse dies tun, so eine Reihe der von mir studierten Autoren, um Sozialarbeit als eigenen Beruf und eigene Wissenschaft zu etablieren.

Warum kann Sozialarbeitswissenschaft nicht im Orchester der Wissenschaften mitspielen, wohl wissend, daß es viele großflächige Überschneidungen gibt und daß sie an manchen Stellen die Rolle des Dirigenten übernehmen kann. Damit ist überhaupt nicht gesagt, daß Sozialarbeitswissenschaft etwa weniger wissenschaftlich wäre als Physik. Ich denke, daß Sozialarbeit zu den Berufen gehört, die man in ihrer Universialität erkennen und begreifen muß, damit bspw. Einzelfälle nicht übergangen werden. Als gutes Beispiel für ein ähnliches Gebiet erscheint mir die Theologie und der Beruf des Pfarrers.

Auch die Menschen, welche nicht in die Schubladen o.g. Autoren passen, wollen in ihren Sorgen und Nöten ernst genommen werden. Wer will ihnen zumuten, zunächst einmal herauszufinden, wer für ihre Sorge zuständig ist. Ist es der Psychologe, der Theologe, der Arzt oder vielleicht doch der Sozialarbeiter?

Hilfe wird mir bei meinen Studien nun endlich durch Roland Merten zuteil. Er gründet einen Teil seiner Überlegungen auf eine Prämisse, die ihrer Unstrittigkeit wegen schon fast als Banalität zu bezeichnen sei. (6) Gemeint ist für ihn die vollständige Heterogenität des Arbeitsfeldes Sozialer Arbeit. Außerdem zitiert Merten in seinem Buch R. Dahrendorf mit den Worten: "Die Vorstellung systematischer Gegenstände von wissenschaftlichen Fächern müßte ja bedeuten, daß die Welt der Erfahrung sich in eine endliche Menge von Bereichen zerschneiden läßt, denen bestimmte Disziplinen gewissermaßen notwendig zugeordnet sind: Jedes Fach hat seinen nur ihm eigenen Gegenstand, und wie die Summe der Fächer die Erkenntnis selbst, so ergibt die Summe der Gegenstände die Welt selbst. Natürlich liegen derart absurde Konsequenzen nicht im Plan derer, die ihrer Disziplin einen eindeutig bestimmten Gegenstand zu verschreiben versuchen. Doch ist der Versuch der systematischen Bestimmung von Forschungsobjekten immer ein Mauerbau, ein Prozeß der Einfriedung und damit der schematischen Aufteilung." (7)

Damit sehe ich die Versuche problematisiert, die einen abgegrenzten Gegenstandsbegriff glauben finden zu müssen. Auf meiner am Anfang stehenden Suche nach einem Begriff, besser geeignet als bspw. soziales Problem" oder "Überforderung", den Gegenstand sozialer Arbeit möglichst weit zu erfassen, kam mir das Wort "Lebensbewältigung" in den Sinn. Ich meine damit Hilfe zur, Beistand bei der, Eingriff nach Scheitern der oder Unterstützung für die Bewältigung menschlichen Daseins, um damit die sozialarbeiterisch Tätigkeit kurz zu umschreiben. Nach langer Zeit des Überdenkens konnte ich keine mir bekannte, angelesene oder konstruierte Praxissituation finden, die nicht unter den Handlungsbereich dieses Wortes fallen könnte.

Zum Schluß meiner Betrachtung möchte ich noch einmal zusammenfassend formulieren, was sozialarbeiterisch Tätigkeit meines Erachtens ausmacht.

Den Gegenstand der Sozialarbeit sehe ich im universialistischen Auftrag des Wortes "Lebensbewältigung". In Bezug auf die Perspektive, die ein Sozialarbeiter damit haben muß schreiben Mary W. Macht und José B. Ashford dazu treffend: "Problems can be viewed fom several perspectives: What type of problem is it? Who "owns" the problem? Where is the problem located? The generalist model forces the social worker to deal with the problem in all its complexity, assuming that this is the only effective way to solve the problem. (8) Diese Vorstellung vom "generalist model" ist der weitgefaßte Tätigkeitsrahmen für jeden Angehörigen unseres Berufes.

Meine Ansicht, daß Sozialarbeit sich nicht ein- oder abgrenzen darf, sondern sich einen möglichst weitgefaßten Gegenstand zu eigen machen muß, bestätigt Charles Zastrow: "A social worker needs training and expertise in a wide range of areas to be able to handle effectively the problems faced by individuals, groups, families, and the larger community. Whereas most professions are increasingly becoming more specialized (for example, nearly all medical doctors now specialize in one or two areas), social work continues to emphasize a generic (broad-based) approach. The practice of social work is analogous to the old, now fading practice of general medicine. A general practitioner in medicine had training to handle a wide range of common medical problems faced by people. (9)

Damit wird für mich ein entscheidendes Spezifikum unseres Berufes und seiner Wissenschaft deutlich. Während andere Professionen sich immer mehr speziell ausrichten, müssen wir einen breitgefächerten ("generalist model", universialistisch oder wie auch immer bezeichnet) Ansatz bewahren und weiterentwickeln.

Ich meine, daß es Sozialarbeit und ihrer Wissenschaft so möglich ist, sich in Zusammenspiel und Überschneidung mit anderen Arbeits- und Forschungsgebieten zu profilieren, ohne daß ihre eigene Wissenschaftlichkeit und Professionalität darunter zu leiden hätten.

 

 

Bibliographie

 

(1) vgl. Silvia Staub-Bernasconi: Dimensionen Sozialer Arbeit-Annäherung an ihren Gegenstand (1993) in Systemtheorie, Soziale Probleme und Soziale Arbeit: lokal, national, international, Paul Haupt Verlag, Bern-Stuttgart-Wien, 1995, S. 96 ff.

(2) vgl. Peter Lüssi: Systemische Sozialarbeit-Praktisches Lehrbuch der Sozialberatung, Paul Haupt Verlag, Bern-Stuttgart-Wien, 1995, 3. Auflage, S. 80

(3) vgl. Peter Lüssi: Systemische Sozialarbeit-Praktisches Lehrbuch der Sozialberatung, Paul Haupt Verlag, Bern-Stuttgart-Wien, 1995, 3. Auflage, S. 30 ff.

(4) vgl. Peter Lüssi: Systemische Sozialarbeit-Praktisches Lehrbuch der Sozialberatung, Paul Haupt Verlag, Bern-Stuttgart-Wien, 1995, 3. Auflage, S. 85

(5) vgl. Bernhard Haupert: Programmatische Überlegungen zur Gegenstandsbestimmung einer Theorie Sozialer Arbeit in Konturen der Sozialarbeit, Wiener Universitätsverlag, Wien, 1995, S. 74 ff.

(6) vgl. Roland Merten: Autonomie der Sozialen Arbeit-Zur Funktionsbestimmung als Disziplin und Profession, Juventa Verlag, Weinheim und München, 1997, S. 75

(7) vgl. Roland Merten: Autonomie der Sozialen Arbeit-Zur Funktionsbestimmung als Disziplin und Profession, Juventa Verlag, Weinheim und München, 1997, S. 79 f.

(8) vgl. Mary W. Macht & José B. Ashford: Introduction to Social Work and Social Welfare, Macmillan Publishing Company, New York, 1990, S. 44 f.

(9) vgl. Charles Zastrow: Introduction to Social Work and Social Welfare, Brooks-Cole Publishing Company, Pacific Grove, California, 1993, S. 41 f.