Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 1 2. Tanz- Begriffliche Auseinandersetzung 3 2.1 Begriffsfindung 3 2.2 Geschichtlicher Exkurs 3 2.3 Moderndance, Newdance, Tanztheater 5 3. Die Künstlerin 8 3.1 Annamirl van der Pluijm 8 3.2 Ihre Vorbilder, Inspirationsquellen 10 3.3 Ihr Werk 12 4. "Solo M." 13 4.1 Die Auseinandersetzung der Medien mit dem Stück 13 4.1.1 Inhaltliche Vorlagen 13 4.1.2 Darstellung des Stückes in der Presse der vergangenen Jahre 15 4.1.3 Annamirl van der Pluijm - Die Künstlerin 16 4.2 Persönliche Betrachtungen 18 5. Zusammenfassung 21 6. Literatur- und Quellenangaben 22 6.1 Literaturangaben 22 6.2 Quellenangaben 22 1. Einleitung Das Seminar "Ästhetik des Modernen Tanzes" wurde im Sommersemester 1998 im Lehrangebot aufgeführt und weckte meine Neugier. Also beschloß ich, dieses Seminar zu besuchen. Ich hatte mich schon immer für Ballett bzw. Tanz interessiert und wollte wissen, was es mit der Ästhetik des Modernen Tanzes auf sich hat. Zu Beginn des Semesters konnte ich mir recht wenig unter Ballett bzw. Tanz vorstellen. Ich hatte ein bekanntes Bild im Kopf; eine Frau tanzt auf Spitzenschuhen durch den Raum, die Anstrengung ist ihr anzusehen. Ich nahm an, daß "Schwanensee" von Tschaikowski das einzig wichtige Tanzstück sei. Ich sollte in den folgenden Wochen erkennen, daß Tanz nicht nur der klassische Ballettanz einer Primaballerina wie Anna Pavlova sein konnte sondern auch der modern, expressive Tanz einer Annamirl van der Pluijm oder eines Emio Greco. Die intensive Auseinandersetzung mit der Thematik gab mir die Möglichkeit, mich mit einer Künstlerin des Modernen Tanzes näher zu beschäftigen. In Absprache mit dem Seminarleiter konzentrierte ich mich im folgenden auf die niederländische Tänzerin, Performerin und Choreographin Annamirl van der Pluijm, die im Sommer 1998 im Rahmen der "Tanztendenzen" in Greifswald auftreten sollte. Die folgende Arbeit ist in einzelne Schwerpunkte gegliedert. Ich habe mich zunächst mit dem Begriff Tanz beschäftigt, weiterhin gebe ich eine kurzen Einblick in das Leben und Schaffen der Künstlerin . Ein weiterer Schwerpunkt meiner Arbeit wird die Auseinandersetzung mit "Solo M." sein, wobei ich mich zunächst auf Pressemitteilungen zum Stück konzentrierte um schließlich meine eigenen Impressionen, Empfindungen nach der Betrachtung des Stückes einzubringen. Die abschließenden Betrachtungen dienten der kurzen Zusammenfassung der Gedanken. 2. Tanz- Begriffliche Auseinandersetzung 2.1 Begriffsfindung Tanz wird in der Literatur als rhythmische Körperbewegung beschrieben, die meist von Musik begleitet wird. Ballett ist die Bezeichnung für eine szenische und choreographische Komposition wie auch für die Truppe, die diese Komposition vorträgt. 2.2 Geschichtlicher Exkurs Ursprünglich war der Tanz ein rein religiöser Akt, der in vielen Hochkulturen auf den göttlichen Ursprung zurückgeführt wurde. Im Hinduismus gilt beispielsweise der Gott Shiva als der Tanz-König. Krishna vollführt mit Gopi einen ‚ewigen Tanz'. Ebenfalls ein Gott des Tanzes war der phönikische Baal Markod, der Herr des Tanzes. Neben dem Opfer war auch der Tanz eine der verbreitetsten und wichtigsten Kulthandlungen. Tänzen, denen magische, Götter besänftigende Wirkung zugesprochen wurde, dienten der Abwehr von Unheil und Gefahren, der Versöhnung oder der Erhaltung der gegebenen Ordnung. Bereits im Alten Testament ist von Tänzen aus Dankbarkeit oder Freude berichtet worden. Selbst im alltäglichen menschlichen Leben verlieh der Tanz vielen Gegebenheiten eine religiöse Weihe und diente dabei oft zugleich der Abwehr dämonischer Einflüsse. Im 17. Jh. erhielt das am französischen Hof eingeführte Ballet de Cour, welches anfangs von Berufstänzern unterstützt und später ausschließlich von ihnen realisiert wurde, immer größere Bedeutung. Es wird als Beginn des Musiktanzes charakterisiert. 2.3 Moderndance, Newdance, Tanztheater Auf dem Gebiet des Kunst-Tanzes trat neben dem klassischen Ballett im 20. Jh. der Ausdruckstanz in Erscheinung. Dieser wurde als ein eigenständiger, von musikalischen Bindungen und akademischen Positionslehren befreiter Ausdrucksträger verstanden. Ihren Anfang nahm diese Richtung einerseits durch die emotional-expressiven Tanz-Schöpfungen der Isadora Duncans. Sie tanzte zu Musik, die nicht für den Tanz geschaffen worden war, beispielsweise zu Beethoven oder Chopin. Andererseits wurde der Ausdruckstanz aber auch von E. Jaques Dalcroze beeinflußt, der eine rhythmische Gymnastik lehrte. Der eigentliche Theoretiker der modernen Tanz-Kunst aber war R. von Laban. Sein Verzicht auf Dekorationen und teilweise sogar auf die Musik charakterisieren seine Arbeit. Er leitete die rhythmischen Impulse des Tanzes lediglich an ein Schlagzeug weiter, welches die akustische Untermalung des Tanzes übernahm. Das von Hanya Holm 1931 in New York eröffnete Wigman-Studio wurde neben der Denishawn-School von Ruth Saint-Denis und T. Shawn und Martha Grahams School of Contemporary Dance zu einem der bedeutendsten Zentren des Moderndance. Der Moderndance prägte das moderne Ballett entscheidend und hatte ebenso ganz erheblichen Einfluß auf das Tanztheater sowie auf dessen amerikanische Variante, den Newdance. Der Moderndance (auch Modern Dance) gilt als die allgemeine Form des Ausdruckstanzes. Dem strengen Kanon des klassischen Balletts für die Schritt- und Bewegungsfolgen wird die freie, subjektiv geschaffene Bewegung des Tänzers entgegengesetzt. Der Moderndance ist durch einen ständigen Wechsel von Kontraktion und Expansion gekennzeichnet und bezieht neben der Senkrechten auch die Horizontale als zusätzliche Ebene der Bewegung mit ein. Zeitlich läßt sich der Moderndance als Stilepoche auf die Jahre zwischen 1926 bis 1958 einordnen. Diese Daten können mit zwei bedeutenden Frauen bzw. Tänzerinnen des Moderndance in Verbindung gebracht werden. 1926 gab Martha Graham in New York ihr Debüt als Tänzerin und der Tod von Doris Humphrey 1958 bildet den Abschluß der Stilepoche. Erst als 1959 G.Balanchine und Martha Graham gemeinsam die ‚Episodes' choreographieren und dieses Stück zur Aufführung gelangt, werden die Grenzen zwischen dem klassischen Ballett und dem Moderndance fließend. Weiterhin läßt sich der Moderndance als Sammelbegriff für alle darstellenden Tanzstile des heutigen Tanztheaters charakterisieren. Das Tanztheater stellt eine Gegenbewegung zum klassischen Ballett dar, die zunehmend an Bedeutung gewinnt. Der Begriff Tanztheater stammt vermutlich von K. Jooss. Er beschreibt die enge Wechselbeziehung von Tanz und Drama. Verwendet wurde die Bezeichnung zunächst für das Ensemble, wohl in Anlehnung an das Modell des ‚Nederlands Dans Theater'. Das Tanztheater steht aber auch für eine avantgardistische Ästhetik, ein neues Empfinden. Die Künstler wollen in ihren Stücken nicht einfach Bewegungen erfinden, sondern Bewegungsgründe sichtbar machen. Selbst alltägliche Gesten können im Tanztheater eine ebenso große Rolle spielen wie Text und Gesang. Die Musik hat meist nur noch eine begleitende Funktion und wird daher, oft collagenhaft aus den verschiedensten Elementen zusammengesetzt, in den Hintergrund gestellt. Der Newdance, die amerikanische Variante des Moderndance wird durch die Reduzierung der Bewegung auf strenge mathematische Formen gekennzeichnet. Überwiegend Frauenensembles haben in ihren Solo- bzw. Gruppenchoreographien bestimmte geometrische Figuren als Grundlage für ihren Tanz gewählt. Diese müssen in akribischer Genauigkeit ‚abgeschritten' werden. Ein anderes Gestaltungsmittel des sogenannten ‚Minimaldance' ist die vielfache Wiederholung bestimmter Körperbewegungen, wobei diese jedesmal leicht variieren können. 3. Die Künstlerin 3.1 Annamirl van der Pluijm Im folgenden möchte ich kurz einige biographische Fakten zu Annamirl van der Pluijm anführen. Annamirl van der Pluijm wurde am 22. Mai 1963 in Rotterdam geboren. 1984 schloß sie ihre Ausbildung an der "Rotterdamerse Dansacademie" ab. Gleich im Anschluß arbeitete sie als Performerin und Tänzerin mit dem belgischen Avantgardisten Jan Fabre und wurde später auch seine Assistentin. 1988 wechselte sie zum Tanztheater von Reinhild Hoffmann nach Bochum, um als Solotänzerin neue Erfahrungen zu sammeln. Unter anderem tanzte sie dort ein Solo, das Reinhild Hoffmann ursprünglich für sich selbst geschaffen hatte. Seit ein paar Jahren konzentriert sie sich nun auf eigene Solowerke. Ihr erstes, "Solo 1" von 1992, erntete in Europa und Kanada auf zahlreichen Festivals großen Erfolge. "Soloarbeiten stellen hohe Anforderungen an die Ausführenden, denn obwohl ihnen bestimmte Themen zu Grunde gelegt werden, bedeutet diese intensive Auseinandersetzung auch immer, sich selbst einen Spiegel vorzuhalten."1 Ihren eigenen sehr persönlichen Stil konnte sie mit Stücken wie "Solo M." und "Solo P." weiterentwickeln. Zwei kontrastreich angelegte Soli zu historischen Figuren der Tanzgeschichte: Martha Graham, der Mutter des modernen Tanzes, und Anna Pavlova, der legendären Primaballerina. Die beiden Stücke waren auf so bedeutenden Festivals wie dem Klapstuk Festival, den Berner Tanztagen oder Sommerszene in Salzburg zu sehen. 1997 war Annamirl van der Pluijm zu Gast bei den "Tanztendenzen '97" in Greifswald. Damals tanzte sie das Solostück "Solo P.", eine Hommage an die Primaballerina Anna Pavlova. 3.2 Ihre Vorbilder, Inspirationsquellen Der folgende Abschnitt der Arbeit bezieht sich rein spekulativ auf mögliche Vorbilder der Künstlerin. Ich gehe davon aus, daß die drei aufgeführten Tänzerinnen Annamirl van der Pluijm in den verschiedenen Etappen ihrer künstlerischen Laufbahn beeinflußt haben. Die Daten zu den einzelnen Personen seien nur informativ angeführt. Ein Vorbild für Annamirl van der Pluijm war höchstwahrscheinlich Reinhild Hoffmann, bei der sie 1988 ihre Erfahrungen als Solotänzerin erweiterte. Reinhild Hoffmann, selbst Tänzerin, Choreographin und Ballettdirektorin, setzt in ihren Choreographien und Soloabenden eine zum Teil speziell weibliche Thematik mit großer Bildkraft in Szene. Tanz ist bei ihr vor allem Fortbewegung und das Übersteigern alltäglicher normaler Bewegungsfolgen. Selbst das einfache ‚Gehen' gehört für sie zum Tanz. Eine weitere mögliche Inspirationsquelle für Annamirl van der Pluijm vermute ich in Anna Pavlova. Diese hieß eigentlich Anna Pavlova Matwejewa und wurde 1882 in St. Petersburg geboren. "Sie bot das klassische Ballett in individueller Interpretation, Ästhetik nicht um der Ästhetik willen, sondern lyrisch ausgelebt und hingegeben. Regeltreuer Formalismus war der Pavlova sichtlich zuwider."2 Als dritte ‚Lehrerin' für Annamirl van der Pluijm kommt meines Erachtens nur die legendäre Pionierin des Moderndance Martha Graham in Frage. Martha Graham gilt als Hauptvertreterin des amerikanischen Moderndance und beeinflußte maßgeblich die Entwicklung des zeitgenössischen Tanztheaters. Sie begründete ihren Ruhm damit, daß sie als erste eine Abkehr vom klassischen Ballett wagte und eine neue Tanzqualität entwickelte. 3.3 Ihr Werk Nachdem Annamirl van der Pluijm 1984 die "Rotterdamerse Dansacademie" verließ, arbeitete sie einige Jahre als Assistentin des Choreographen Jan Fabre. Nach dem Wechsel der Künstlerin zu Reinhild Hoffmann und deren Ballettschule in Bochum konzentrierte sie sich zunehmend auf ihre Soloauftritte. Ihr erstes "Solo 1" von 1992 erntete in Europa und Kanada auf zahlreichen Festivals große Erfolge. In den folgenden Jahren präsentierte Annamirl van der Pluijm weitere Soloprojekte, die nur kurz genannt werden sollen. 1994 führte sie "Solo M." auf, 1995 "Solo P." und 1997 "The Other Me". Diese vier Soli sollen als Beispiele für ihre Arbeit als Tänzerin und Choreographin genügen. 4. "Solo M." 4.1 Die Auseinandersetzung der Medien mit dem Stück 4.1.1 Inhaltliche Vorlagen Im Rahmen der "Tanztendenzen '98" wurde das 1994 uraufgeführte Solostück "Solo M." von Annamirl van der Pluijm im Theater Vorpommern/Greifswald gezeigt. "Solo M." soll einen "Klagegesang über das Gefangensein in Gefühlswelten"3 darstellen. So die Aussage des Kritikers im Begleitheft zu den "Tanztendenzen '98" vom Theater Vorpommern / Greifswald. In diesem Stück bezieht sich die Künstlerin auf die Tanzpionierin des Moderndance schlechthin, auf Martha Graham. Das Begleitheft zu den "Tanztendenzen '98", welches im Vorfeld der Veranstaltung erschien, schreibt zur Darbietung weiter: "Auf der Suche nach einem Teil von Martha Graham in sich selbst, setzt sie ihre eigenen Überlegungen zu Zeitabläufen, Raumverhältnissen, inneren Bewegungen und Musik in Bezug zu Grahams Visionen. Entstanden ist eine vielschichtige Selbstreflexion, die trotz Abstraktion und Reduktion der Mittel von einem tiefen Ausdruckswillen getragen ist."4 Die Nordwest Zeitung vom 20. 11.95 schreibt über die Beziehung Annamirl van der Pluijms zu Martha Graham: "'Solo M' ist ein Selbstporträt van der Pluijms, das sie mit Hilfe der Visionen Martha Grahams zeichnet. Anhand von Filmaufnahmen und Veröffentlichungen hat Annamirl van der Pluijm alle künstlerischen Aspekte ihres Vorbildes herausgefiltert, die ihrer eigenen Persönlichkeit entsprechen, und daraus ein beeindruckendes Sinnbild für die Unterdrückung der weiblichen Seele und des weiblichen Körpers geschaffen."5 Annamirl van der Pluijm schafft es, Gedanken und Gefühle mit einer bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Präzision der Bewegung und Haltung sichtbar zu machen. "Mit ihrer markanten Gestalt schafft sie in einer aussergewöhnlichen Bühnenpräsenz kräftige Körperbilder."6 Laut Aussage der Zeitschrift Tanz sagt Annamirl van der Pluijm, die Martha Graham selbst nie hat tanzen sehen: "Ich trainierte früher Graham-Technik. Sie war auch Solotänzerin. Ich suchte nach der Person Graham. Über ihre Biographie, via Videos und Fotobücher. Diese beeindruckten mich am meisten. Von den Fotos habe ich ihre typischen Hand- und Armbewegungen und ihr Zusammenziehen gelernt und in die Produktion verarbeitet. ..."7 Annamirl van der Pluijm äußert sich weiterhin zu ihren Stück "Solo M.": "... ‚Das lange , geschlossenen Kleid, das die Bewegungen meiner Beine beschränkt, ist von einer ihrer Vorstellungen inspiriert. (Bezug zu Martha Graham - MKS) Und doch ist ‚Solo M' keine Rekonstruktion. Es gibt viele Elemente von mir, beispielsweise die Musik von Bach. Es ist ein Stück über mich selbst, verlagert in Graham. Ich bin subjektiv umgegangen mit ihren Themen: Leiden, Druck, Trauer, Abschied.'"8 4.1.2 Darstellung des Stückes in der Presse der vergangenen Jahre Die Vorstellung des Soloabends wird in der Presse übereinstimmend positiv kommentiert. Viele der Kritiker sparen nicht mit Lob, sowohl in Bezug auf das Gesehene als auch auf die Darbietende. In erster Linie aber konzentrieren sich die Quellen, die ich anführen möchte auf die Produktion. "Langsam trägt sie eine Bank herein, geschultert fast wie ein Kreuz, setzt sie ab. Die niedrige, lehnenlose Holzbank ist die Horizontale. Auch das Licht macht sich lang, legt sich in schmalen Balken quer über die Bühne. Annamirl van der Pluijm, eingefasst in ein schwarzes, enganliegendes, zunächst noch knöchellanges Kleid, das ihre schlanke, hohe Statur noch weiter streckt, wird zur frei drehbaren Achse, die sich senkrecht, parallel oder abgewinkelt zur Horizontalen bewegt."9 Das Einbeziehen der Horizontalen in den Tanz charakterisiert die Expressivität des Dargebotenen. Die Zeitung Der Bund kommentiert die Aufführung von "Solo M." zu den Berner Tanztagen wie folgt: "Die androgyne Gestalt beginnt sich aufzubäumen ... ein Tanz wie vor einer Seelenhäutung. Die Beine sind verankert ... die Arme frei: Sie angeln wie riesige Tentakel nach aussen. ... wenn die Tänzerin über der Horizontalen der Bank ins Gegenlicht taucht, gespenstisch im Wechselspiel von Licht, Musik und Schatten."10 Die Berner Zeitung schreibt in ihrer Ausgabe vom 26.8.96 zu den Berner Tanztagen in Bezug auf "Solo M." von Annamirl van der Pluijm: "... Im Kontrast zu deren Statik (Statik der Bank - MKS ) demonstriert sie die Biegsamkeit und Geschmeidigkeit des menschlichen Körpers. Als ob sie die Saiten wäre, auf denen die Cello-Suiten von Johann Sebastian Bach gestrichen werden. In rhythmisch stimmigen Wechseln folgt auf die Musikeinspielungen Stille."11 4.1.3 Annamirl van der Pluijm - Die Künstlerin Annamirl van der Pluijm verbindet laut Aussage der Salzburger Nachrichten vom 7.7.97 "... zur Musik von Bach die stringente Form des klassischen Balletts mit der kreativen Vielfalt zeitgenössischen Tanzes. In fast mediativer Konzentration zeichnet sie anmutige Momentaufnahmen körperlichen Ausdrucks, setzt sie das harmonische Rund der Bewegungen virtuos in Beziehung zur beeindruckenden Symbolik plötzlicher Erstarrung."12 Nach Ansicht von Ulrich Schönborn (Nordwest Zeitung) geht die Künstlerin zu den melancholischen Klängen von Bachs Cello-Suiten bis an die Grenzen der körperlichen Leistungsfähigkeit. Sie fällt in immer neue bizarre Körperhaltungen von akrobatischer Kunst und ambivalenter Schönheit, immer im Wechsel von Ver- und Entspannung gekennzeichnet. Auffällig war für mich während der Vorstellung die "absolute Stille und Ruhe", die die Künstlerin ausstrahlte. Der Bund schreibt weiterhin :"Bilder, die bewegen: Sie kommen aus der Stille, kehren in sie zurück. Die schwarze Frau kämpft sich tapfer in die Totenstille des Raumes. Steifbeinig ... Ewig dauert der Kreuzweg. Konzentration, Spannung und Einsamkeit dies- und jenseits des Bühnenrandes erreichen ihren Höhepunkt"13 "Wie eine zweite Haut umschliesst der schwarze Trikotschlauch Annamirl van der Pluijms Körper. Die markante Linie ihrer Silhouette wirkt wie ein elegantes Gefäss, aus dem Barockmusik Bewegungsbotschaften wachküsst."14; so charakterisiert der Kritiker der Zeitung Der Bund das Kostüm, welches die Künstlerin trug. 4.2 Persönliche Betrachtungen Um die folgenden Ausführungen einzuleiten, möchte ich kurz beschreiben, worum es sich bei "Solo M." handelt. Der gesamte Theaterraum ist dunkel; ein Spotlight erscheint und Musik beginnt, erst ganz leise, lauter werdend. Eine Frau im schwarzen Kleid schreitet steifbeinig auf die Bühne mit etwas anscheinend Schwerem auf den Schultern. Ein Gesichtspunkt der ästhetischen Gestaltung der Aufführung waren meines Erachtens die nicht vorhandenen Bühnendekorationen und die Lichteffekte. Diese waren so präzise gesetzt, daß es beinahe erschreckend wirkte, wie Annamirl van der Pluijm auf die Bühne trat und mit dem Gegenstand umging, der sich später als Bank darstellen sollte. Die folgenden Sequenzen sind schnell beschrieben; Annamirl van der Pluijm kommuniziert, tanzt, spielt und kämpft mit der Bank. Eine Frau, die ihr eigenes Kreuz zur Hinrichtung trägt. Dieser Gedanke kam mir beim Anblick, der sich auf der Bühne bot. Die Musik bildete zur scheinbaren Leichtigkeit der Bewegungen auf der Bühne mit ihrem sehr ruhigen, getragenen Charakter, der Schwere und Melancholie der eigentlichen Thematik ein einzigartiges Pendant. Johann Sebastian Bach's Suite für Cello Solo, Robert Schumanns Dichterliebe und ein Lied, gesungen von Marlene Dietrich stellten diesen Kontrast deutlich dar. Die Bank wirkt im ersten Moment scheinbar wie etwas, das mit Leichtigkeit getragen werden kann. Als sich die Künstlerin aber dreht und die Bank abstellt, offenbarte sich aber das ganze Gegenteil. Die Bank, eigentlich ein Gebrauchsgegenstand, war massiv und schwer. Im Folgenden sollte die Bank jedoch nicht als der bekannte Gebrauchsgegenstand zum Einsatz kommen, sondern vielmehr als Kommunikationspartner für den Tanz benutzt werden. Meiner Ansicht nach waren es auch die Lichteffekte, die das Kostüm von Annamirl van der Pluijm so interessant gestalteten. Ein einfaches schwarzes, enges Kleid wurde von einem anfangs extravagant wirkenden Gewand, zu einem einzwängenden Strickkleid, aus dem sich die Tänzerin zu befreien versuchte. Dieses Kleid vermittelte den Eindruck, als könne sich die Tänzerin keinen Moment frei bewegen. Aber Annamirl van der Pluijm vollzog einen Ballanceakt menschlicher Körperbeherrschung und Darstellungskraft, der den gesamten Tanz auf der Bühne zu einem Meisterwerk machte Das Kleid unterstützte Annamirl van der Pluijm in ihrer Absicht, mit ihrem Körper zu zeigen, wozu ihr die Ausdrucksform des Tanzes nicht die Möglichkeit gab, ihre Gedanken in Worte zu fassen und diese an den Betrachter zu richten. Die Bewegungen machten die Anatomie des menschlichen Individuums deutlich und zeigten, inwieweit sich der menschliche Körper kontrollieren läßt. Durch die scheinbar mühelosen Übungen der Künstlerin auf der Holzbank entstand für den Betrachter der Eindruck einer schwebenden Leichtigkeit in den Bewegungen. Die "reine" Natur des Körpers, der weibliche, ästhetisch schöne Körper mußte bis auf ein äußerstes Maß beansprucht und trainiert werden, um eine solche Leistung des Tanzes überhaupt erst zu ermöglichen. Annamirl van der Pluijm sagte selbst über ihre Arbeit: "Ich will Menschen ein anderes Zeitgefühl vermitteln. Ich beschränke die Bewegungen, arbeite stark mit Stille und Spannungsbögen, die nicht durch allerhand Bewegungen entstehen. Sie zeigen, was einer emotionalen Explosion vorausgeht. Alles geht gegenwärtig so schnell - die Menschen sollen bei meinen Vorstellungen den Fuß vom Gaspedal nehmen können."15 Diese Stellungnahme der Künstlerin beschreibt präzise die Charakteristik des Dargebotenen Stückes "Solo M." 5. Zusammenfassung Ich möchte an den Anfang der zusammenfassenden Bemerkungen die Aussage des Kritikers der Berner Zeitung stellen, daß "... die fesselnde Bühnenpräsenz Annamirl van der Pluijms, die mit minimalen materiellen Mitteln und einer genau dosierten Ökonomie der Bewegungen eine umso eindringlichere Wirkung erzielt."16 Die Künstlerin provozierte in "Solo M.", indem sie sich als weibliches Individuum aus der Rolle der Frau herausbewegt. Die Frau - das schwache Geschlecht - wird zum "Träger" der Macht. Zum starken Geschlecht? Die "maskuline Eva" ist nicht mehr die Wartende, die Gebende, die Behütende - nein sie ist exponiert, dominant. Die Bank als Symbol des Statischen, des Unbeweglichen wird im doppelten Sinn "aufgehoben". Der Mann in seiner klassischen Rolle existiert nicht - er ist ins Nichts gedrängt. Die Rolle der Frauen war seit Jahrhunderten statisch, stabil und festgelegt. Doch durch die Darstellung Annamirl van der Pluijms kommt sie in Bewegung, verliert aber nicht den Halt. Die Emanzipation der Frau - wie weit kann die Künstlerin gehen, wie weit will sie gehen? Darf die Frau aus ihrer eingespielten Rolle überhaupt ausbrechen? Sie ist meist allein - aber sie ist sehr stark. Die Künstlerin spürt ihren Körper ganz bewußt, spürt ihre erotische Macht, ihre emotionale Kraft und wird sich dieser nur allzu deutlich bewußt. Bedeutet das eine Kampfansage an die Männlichkeit, eine Provokation? Erwartet sie die Aufhebung der Geschlechterrolle oder spielt sie nur mit dem Betrachter ein Spiel um Machtverhältnisse? "Solo M." läßt dem Betrachter die Freiheit zu entscheiden, wie weit er mit der Künstlerin geht oder wann er zu sich selbst sagt: ‚Ich steige aus'. Die Künstlerin selbst fechtet diesen angenommenen Kampf auch nicht bis zum Schluß aus. "Solo M." endet damit, daß die Tänzerin die Bank aufnimmt und sich umarmend an sie lehnt. Also doch das schwache Geschlecht?! 6. Literatur- und Quellenangaben 6.1 Literaturangaben * Bertelsmann Lexikon, Bd. 10, Bertelsmann Lexiothek Verlag GmbH, Gütersloh 1990. * Brockhaus-die Enzyklopädie, 20. Aufl. Bd. 15&21, F.A. Brockhaus GmbH, Leipzig-Mannheim 1998. * Brockhaus-die Enzyklopädie, 20.Aufl. Bd. 9&10, F.A.Brockhaus GmbH, Leipzig-Mannheim 1997. * Enzyklopädie des Wissens, Bd.1-10, Naturalis Verlag, Vertriebsgesellschaft Köln 1990. 6.2 Quellenangaben * Begleithefte-Tanztendenzen 11.-15.Juni 1997 und 16.-21.Juni 1998, Theater Vorpommern, Siemens Kulturprogramm. * Berner Zeitung- Berner Tanztage- 26.8.96, Ausgabe Stadt + Region Bern, Oliver Hochadel. * Der Bund- Berner Tanztage- 26.8.96, Marianne Mühlemann. * Informationsmaterial der Pressestelle des Theaters Vorpommern zu den "Tanztendenzen 1997" und "Tanztendenzen 1998". * Informationsmaterial zu Annamirl van der Pluijm von Manager Mr. Patrick Sterckx. * Journal der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald, Ausgabe Juni 1998. * Kölner Stadt-Anzeiger- Nr. 225- 27.9.95. * Nordwest Zeitung- 20.11.95, Ulrich Schönborn. * Ostsee Zeitung, 22. Juni 1998. * Salzburger Nachrichten- Kultur/Anzeigen- 7.7.97, Johann Auinger. * The Scotsman- 27.2.98, Christopher Bowen. * Zeitschrift- Tanz B/NL- 24.8., Lorenzini. 1 Zeitschrift Tanz B/NL 24.8. Lorenzini 2 Enzyklopädie des Wissens 3 Begleitheft- Tanztendenzen 16.- 21.Juni 1998, Theater Vorpommern, Siemens Kulturprogramm 4 ebd. 5 Nordwest Zeitung , 20.11.95 - Ulrich Schönborn 6 Zeitschrift- Tanz B/NL, 24.8., Lorenzini 7 Zeitschrift- Tanz B/NL, 24.8., Lorenzini 8 ebd. 9 Berner Zeitung - Berner Tanztage - 26.8.96, Ausgabe Stadt+Region Bern 10 Der Bund - Berner Tanztage - 26.8.96 - Ausgabe Stadt+Region Bern 11 Berner Zeitung - Berner Tanztage - 26.8.96 - Ausgabe Stadt+Region Bern 12 Salzburger Nachrichten - 7.7.97 - Johann Auinger 13 Der Bund - Berner Tanztage - 26.8.96 - Ausgabe Stadt+Region Bern 14 ebd. 15 Informationsmaterial der Pressestelle des Theaters Vorpommern 16 Berner Zeitung - Berner Tanztage - 26.8.96 - Ausgabe Stadt+Region Bern Seminararbeit zum Thema "Annamirl van der Pluijm - Solo M." 0