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Der Mord an Walther Rathenau

1 Einleitung

1.1 Fragestellung

1.2 Forschungsstand, Literatur- und Quellenlage

2 Frühere Morde und Mordversuche

2.1 Der Mord an Matthias Erzberger

2.2 Der Mordversuch an Philipp Scheidemann

3 Der Mord an Walther Rathenau

3.1 Wer war Walther Rathenau?

3.2 Die Ermordung Rathenaus

3.3 Der Täterkreis – die O.C.

4 Die Reaktionen

4.1 Reaktionen der Öffentlichkeit

4.2 Reaktionen der Regierung

4.3 Reaktionen der Justiz

5 Schlusswort

Anhang

Bibliographie

Anmerkungen

 

1 Einleitung

Das Ausgangsthema der vorliegenden Proseminararbeit waren die politischen Morde in der frühen Weimarer Republik. In dieser Zeit geschah jedoch eine solche Unzahl von Mordtaten und Anschlägen (allein in den ersten vier Jahren der Republik zählte der Professor E. J. Gumbel 376 politisch motivierte Morde), dass ich das Thema drastisch eingrenzen musste. So befasse ich mich im folgenden vor allem mit dem Mord an Walther Rathenau, da sich dieser in eine ganze Reihe anderer Anschläge der Jahre 1921/ 22 einfügt. Im Zusammenhang mit dem Rathenaumord werde ich kurz auf diese anderen Taten eingehen. Es gilt zu bedenken, dass diese Morde nur eine Auswahl aus einer Vielzahl von Vorfällen darstellen; viele Taten wurden - oft absichtlich - nie aufgeklärt.

 

    1. Fragestellung
    2. Die folgende Arbeit möchte einen Überblick geben. Einen Überblick über die Opfer, ihre Herkunft, Ziele und Tätigkeiten, einen Überblick über die Täter, ihre Beweggründe und Hintermänner, einen Überblick aber auch über die Reaktionen des Volkes, der Regierung und der Justiz. Ich betone den Überblick deshalb so stark, weil das Thema sehr umfassend und auf wenigen Seiten kaum abhandelbar ist.

       

    3. Forschungsstand, Literatur- und Quellenlage

Die Weimarer Republik scheint mir recht gut erforscht, so kommen auch die politischen Morde in den meisten Überblicksdarstellungen zumindest am Rande vor. Es gibt Literatur zu einzelnen Strömungen und möglichen Täterkreisen, nationalistischen Organisationen sowie über die Justiz in der Weimarer Republik. Über die meisten umgebrachten Politiker wurden in neuerer Zeit Biographien veröffentlicht, in denen die Ermordung -in der Natur der Sache liegend- nicht im Zentrum steht. Martin Sabrow befasste sich eingehend mit dem Mord an Rathenau, Irmela Nagel im Rahmen einer Dissertation mit den Fememorden und Fememordprozessen.

An Quellen, soweit diese im Rahmen einer Proseminararbeit überhaupt berücksichtigt werden können, dienten Reden, Statuten und - falls gedruckt vorliegend - Prozessakten. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Akten zum Rathenaumordprozess im zweiten Weltkrieg fast vollständig verloren gingen und sich die Forschung deshalb weitgehend auf Aussagen der Memoirenliteratur stützen musste. 1993 wurden aber im bis 1990 der Fachwelt unbekannten "Zentralen Staatsarchiv/ Sonderarchiv" in Moskau die Prozessakten des Oberreichsanwalts wiederentdeckt. Diese flossen in die Arbeit von Martin Sabrow ein. Für die in viele politische Morde involvierte "Organisation Consul" -eine Geheimorganisation- ist es charakteristisch, dass fast keine Quellen ausser der Memoirenliteratur vorhanden sind; strengste Geheimhaltung und die Vermeidung von Schriftverkehr waren eines der erklärten Ziele. Auf die Verwendung dieser Memoirenliteratur habe ich jedoch bewusst verzichtet, sie hätte den Rahmen dieser Arbeit gesprengt.

2 Frühere Morde und Mordversuche

Bürgerkrieg, Terror und Mord waren in den Anfängen der Weimarer Republik an der Tagesordnung, die hier untersuchten Morde fielen aber in eine Zeit, als sich die Republik zu festigen begann und waren deshalb für die politische Entwicklung besonders bedeutungsvoll.

 

2.1 Der Mord an Matthias Erzberger

Am 26. März 1920 schoss ein zwanzigjähriger Fähnrich auf den Zentrumspolitiker und ehemaligen Reichsfinanzminister Erzberger, der den Anschlag jedoch überlebte. Der Täter wurde gefasst und sehr milde bestraft; er kam mit 18 Monaten Gefängnis davon, weil er sich auf Helfferichs Schrift "Fort mit Erzberger" berief. Er habe diese Aufforderung wörtlich genommen und in die Tat umgesetzt. Am 26. August 1921 wurde Erzberger, der sich mit einem anderen Politiker auf einem Spaziergang befand von zwei Tätern erschossen. Der Mord erregte grosses Aufsehen; jedoch nicht nur Ablehnung, sondern häufig auch unverhohlene Zustimmung von rechter Seite. Die Linke verstand den Mord als Kampfaufforderung, da zwei Monate zuvor schon Karl Gareis, der Münchner Führer der USPD, ermordet worden war. So sah sich der Reichspräsident gezwungen gestützt auf Art. 48 der Verfassung Verordnungen zum Schutz der Republik zu erlassen. Diese verboten die Publikation von Schriftgut, das zur Gewalt gegen Vertreter oder Verfassung der republikanischen Staatsform aufrief. Die Polizei stiess bei den Ermittlungen nach den Tätern auf Verbindungen zur O.C., einer rechtsstehenden Geheimorganisation. (Von dieser Organisation wird weiter unten die Rede sein.) Die beiden Täter entkamen und wurden in einem Abwesenheitsverfahren schuldig gesprochen. Sie wurden erst nach dem zweiten Weltkrieg gefunden und nochmals vor Gericht gebracht. (Dieser Prozess endete mit einer Verurteilung zu 15 und 12 Jahren Zuchthaus wegen Mordes und Totschlags.)

 

2.2 Der Mordversuch an Philipp Scheidemann

Nicht einmal einen Monat vor dem Mord an Rathenau wurde auf den Sozialdemokraten und ehemaligen Reichskanzler Philipp Scheidemann (damals war er Oberbürgermeister von Kassel) ein Attentat verübt, das nur durch glückliche Umstände keinen Erfolg hatte. Scheidemann befand sich mit seiner Tochter und seiner Enkelin auf einem Spaziergang, als sich ein sportlich gekleideter Wanderer näherte, eine Pumpe aus seiner Tasche zog und Scheidemann eine tödliche Dosis Blausäure ins Gesicht sprühte. Da an diesem Tag starker Wind wehte, traf er nicht ganz, Scheidemann konnte seinen Revolver ziehen und den Täter in die Flucht schlagen, bevor er in Ohnmacht fiel. Das Attentat wurde von der rechten Presse dann auch meist als mehr oder weniger harmloser Schulbubenstreich dargestellt, Scheidemann mit seiner Schussabgabe zur Verteidigung hingegen als gemeingefährlich hingestellt. Scheidemann war schon vor der Tat mehrfach vor Mordanschlägen gewarnt worden; er bekam eine wahre Flut von Drohbriefen. Dass sie ihn mehr belasteten, als er sich anmerken liess, zeigt sein Artikel mit dem Titel "An meine Herren Mörder", in dem er diverse Morddrohungen auflistete.

Der Täter und ein Helfer konnten im August verhaftet werden. Wieder deutete vieles daraufhin, dass sie nicht alleine gehandelt hatten, sondern auf Befehl, und sogar darauf, dass sie finanzielle Unterstützung erhalten hatten. Aus verschiedenen Gründen wurde der Prozess vor der Aufdeckung der Hintermänner durchgeführt. Das republikfreundliche "Berliner Tagblatt" schrieb: "Der Wunsch, die Fäden aufgedeckt zu sehen, die von den Tätern zu ihren Auftraggebern und Geldmännern führen, wurde auch im Scheidemann-Prozess nicht erfüllt. Dass sie vorhanden sind, kann als festgestellt betrachtet werden." Durch die Art und Weise des Anschlags sowie durch Andeutungen der Täter deutete vieles auf die Organisation C., die schon beim Erzbergermord ihre Hände im Spiel hatte.

3 Der Mord an Walther Rathenau

3.1 Wer war Walther Rathenau?

Walther Rathenau wurde am 29. September 1867 geboren, sein Vater, zu dem er in höherem Alter eine sehr enge Beziehung hatte, gründete die "Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft", in der später auch Walther Rathenau mitarbeitete, deren Leitung er anstrebte, aber nie bekam. Schulin stellt dar, dass der Einstieg in die väterliche Firma keineswegs vorgezeichnet war, Rathenau überlegte sich, nach Amerika auszuwandern, Maler oder Schriftsteller zu werden. Er studierte Naturwissenschaften und trat, nachdem er die "Bitterfelder Elektrochemischen Werke" wenig erfolgreich geleitet hatte, doch in die AEG ein. Ab 1907 versuchte Rathenau immer wieder den Einstieg in die Politik, der ihm aber nie gelang. Daneben war er schriftstellerisch tätig, publizierte unter Pseudonymen Aufsätze in der Zeitschrift "Zukunft". So 1897 den Aufsatz "Höre Israel", in dem er das deutsche Judentum angriff und es zur Assimilation aufforderte. (Dieser Aufsatz wurde später gerne von den Nazis zitiert, in einer späteren Schrift nahm Rathenau davon Abstand.) Darin zeigte Rathenau nicht nur die Probleme, die er mit seiner jüdischen Herkunft hatte, er schrieb auch im Geist der Zeit. Daneben entwickelte er die Vision eines geeinten Europas, das durch die Verflechtung und Beziehung der Industrien stabil sein sollte. Vom Ausbruch des ersten Weltkriegs war er nicht begeistert wie die meisten seiner Zeitgenossen, als Industrieller sah er die Wichtigkeit der Rohstoffversorgung und wurde Leiter der Rohstoffversorgungs-Organisation. Hier konnte er sein Talent zur Organisation voll einbringen: Er schuf Kriegsgesellschaften, die eine Mischung zwischen Privatunternehmen und Staatsbetrieb waren. Ohne Rathenau hätte der Krieg wahrscheinlich weniger lange gedauert. Rathenau verliess diese Organisation jedoch nach acht Monaten wieder und hatte bis Kriegsende keine offizielle politische Anstellung mehr. Schon während des Krieges machte sich Rathenau Gedanken über die Demobilmachung und den Wiederaufbau der Wirtschaft. 1918 dachte Rathenau mit einigen Kollegen an die Gründung einer eigenen Partei, trat dann aber nach dem Scheitern dieses Projekts der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) bei. Er konnte nach dem Krieg das Wiederaufbauministerium übernehmen, trat aber aus Protest gegen die Teilung Oberschlesiens zusammen mit anderen Politikern zurück. Er beriet den Kanzler weiter, hatte wohl auch einen späteren Wiedereinstieg als Aussenminister schon ins Auge gefasst. Rathenau war ein Vertreter der Erfüllungspolitik, er wollte den Alliierten zeigen, dass ihre Forderungen von Deutschland nicht erfüllt werden konnten. Im Hinblick auf die Verhandlungen in Genua wurde er zum Aussenminister ernannt. Er wollte Deutschland, das als gleichberechtigter Partner zu den Gesprächen eingeladen war, wieder in die europäische Politik und in das Wirtschaftsleben eingliedern. Als dieser Versuch jedoch fehlschlug, handelte er mit Russland in Rapallo einen Vertrag aus, mit dem die beiden Länder den Grundstein für diplomatische Beziehungen und wirtschaftliche Zusammenarbeit legten. Mit diesem Vertrag führte Rathenau Deutschland aus der Isolation heraus. Dennoch brachte ihm der Vertrag national und international harsche Kritik und Hass ein. Durch diesen Vertrag, die Erfüllungspolitik und nicht zuletzt durch seine jüdischen Wurzeln bot Rathenau eine gute Angriffsfläche für seine rechten Gegner. Am 24. Juni 1922 wurde Rathenau auf dem Weg zur Arbeit von zwei Rechtsextremen ermordet.

 

3.2 Die Ermordung Rathenaus

Ab 1922 wurde die rechte Hetze gegen Rathenau immer stärker. Dabei ging es weniger um seine Politik als um seine Person und seine jüdische Herkunft. Eine wahre Flut von Schmähungen und Briefen mit Morddrohungen brachen über Rathenau herein. "Schlagt tot den Walther Rathenau/ die gottverdammte Judensau!" lautete ein Schmählied aus Oberschlesien. Er war sich der Bedrohung durchaus bewusst, nahm sie aber mit stoischer Ruhe und einer weitgehenden Bereitschaft zur Aufopferung hin. Die Polizei nahm die Drohungen weniger locker: Rathenau wurde angewiesen, immer einen Revolver bei sich zu tragen, später erhielt er Polizeischutz durch zwei zivile Beamte, was ihm jedoch so unangenehm war, dass er häufig versuchte, ihnen zu entkommen. So war denn auch bei der Ermordung Rathenaus kein Beamter zugegen, obwohl der Schutz weitergeführt worden sei, wie der Polizeichef beteuerte. Eine Warnung beeindruckte Rathenau besonders: Ein katholischer Priester war zu Wirth gekommen und erzählte diesem, jemand habe ihm gebeichtet, zum Mord an Rathenau ausgelost worden zu sein. Dies könnte tatsächlich die Vorbereitungen betreffen, die schliesslich zur Ermordung von Rathenau führten.

Am Samstag, dem 24. Juni 1922 machte sich Rathenau kurz vor elf Uhr morgens auf den Weg ins auswärtige Amt. Er fuhr in einem Cabriolet, dessen Verdeck offen war, nur in Begleitung seines AEG-Chauffeurs. Laut Zeugenaussagen wurde er von einem zweiten Wagen verfolgt, in dem ein Fahrer und zwei Beifahrer in dunkeln Ledermänteln und mit Fliegerkappen sassen. Dieser Wagen setzte zum Überholen an, während des Manövers zog der eine Mann eine Maschinenpistole und feuerte acht bis zehn Schüsse auf den Minister. Der andere Mann bückte sich, holte eine Eierhandgranate hervor und warf diese in den Wagen. Rathenaus Fahrer dachte beim ersten Schuss an einen geplatzten Reifen und bremste ab, er hatte die Verfolger bis dahin nicht bemerkt und sah erst jetzt, dass Rathenau schwerverletzt im Auto lag. Der Wagen der Täter beschleunigte scharf und fuhr davon. Eine Krankenschwester, die zufällig in der Nähe auf einen Bus wartete, wies den Fahrer an, möglichst rasch zu einem Arzt zu fahren, der Fahrer konnte den Wagen wieder ankurbeln, der Motor war durch die Granate nicht zerstört worden, wendete und fuhr ins nur fünf Minuten entfernte Haus Rathenaus. Dieser verstarb jedoch noch während der Fahrt. Rathenau war von fünf Schüssen aus nächster Nähe getroffen worden, schon der erste Schuss, der Wirbelsäule, Brusthöhle und den rechten Lungenflügel durchbohrt hatte, war tödlich gewesen.

Die eintreffende Polizei konnte am Tatort einige Patronenhülsen, Teile des Zünders und die Abreissschlaufe der Handgranate sicherstellen. Vieles deutete darauf hin, dass der Anschlag von langer Hand vorbereitet worden war: Am Tatort, einer Kreuzung, musste langsamer gefahren werden, die Täter mussten die Fahrgewohnheiten ihres Opfers also kennen. So wurde bald von einer Mörderzentrale und von der O.C. als Täterkreis gesprochen. Da die Polizei jedoch so gut wie keine Hinweise hatte, ermittelte sie in drei Richtungen: Es wurde versucht, ein Zusammenhang mit früheren Attentaten herzustellen, man ging den Drohbriefen nach und ermittelte bei Organisationen, denen man einen Mord zutraute. Am 25. Juni verpasste die Polizei eine Spur zu verfolgen, die möglicherweise eine rasche Aufklärung nach sich gezogen hätte: Der Corpsdiener einer Studentenverbindung meldete, Ernst Werner Techow sei in Begleitung weiterer Herren, die mit Zeugenaussagen übereinstimmten, mit einem Auto vorgefahren. Dieses Versäumnis beruhte auf dem Glauben an die Falschaussage eines gewerbsmässigen Schwindlers.

Über einen Schüler, der sich mit dem Mord brüstete, kam man schliesslich auf die Spur, die auf den erwähnten Techow und die Täter Kern und Fischer hindeutete. (Erwin Kern war Oberleutnant zur See a.D., Hermann Fischer Ingenieur, beide waren um die 25 Jahre alt.) Techow konnte schon am 26. Juni festgenommen werden und gestand, den Mordwagen gefahren zu haben. Von Techow zog sich die Linie weiter in Richtung O.C.. Die Polizei konnte zwei Mittäter verhaften, die schon beim Scheidemannattentat beteiligt gewesen waren. Die Haupttäter waren aber weiterhin flüchtig und die Polizei versuchte mit Fahndungsplakaten und Pressemitteilungen Druck auf die Flüchtigen auszuüben. Mehrmals wurden diese in der Folge gesichtet, konnten sich aber jedesmal äusserst knapp einer Verhaftung entziehen. Alle Flugblätter und Steckbriefe halfen nichts, bis die beiden Flüchtigen in einer Burg, deren Besitzer gerade auf einer Reise weilte, gefunden wurden. Die Polizei setzte zur einer richtigen Belagerung der Burg an. Als Kern mit einem Gewehr auf einen Polizisten zielte, gab ein anderer fünf Schüsse ab, wovon einer Kern am Kopf traf und tödlich verwundete. Der andere Täter, Fischer, entzog sich der Verhaftung durch Selbstmord.

 

3.3 Der Täterkreis – die O.C.

Bei allen drei bislang betrachteten Morden spielte die O.C. eine zentrale Rolle, wenn auch häufig nicht klar wurde, ob die Täter selbständig – wie sie immer beteuerten – oder auf Befehl einer Geheimorganisation gehandelt hatten. Vieles deutete jedoch auf eine geheime "Mörderorganisation" hin: Die Täter waren ihren Opfern lange nachgereist, was meist beträchtliche Geldsummen verschlang, über die die Täter nicht verfügten. Sie trafen sich mit Verbindungsmännern, die wahrscheinlich Befehle überbrachten. Nach der Tat konnten sich alle absetzen und erhielten finanzielle Unterstützung von unbekannter Seite. Doch wer war diese Geheimorganisation?

Nach dem Krieg entstanden verschiedene paramilitärische Kampfverbände, Einwohnerwehren und auch Gruppen von ehemaligen Soldaten, die sich zusammenschlossen. Eine solche Organisation war die Brigade Ehrhardt, benannt nach ihrem Leiter, dem ehemaligen Korvettenkapitän der Reichsmarine. Nach der Beteiligung am Kapp-Putsch wurde die Brigade Ehrhardt verboten und aufgelöst und Ehrhardt wegen seiner führenden Rolle polizeilich gesucht. Sie lebte aber in der "Organisation Consul" (Consul stand für den Leiter Ehrhardt), die 1920 gegründet wurde, fort und wurde wegen der politischen Umstände besonders in Bayern mächtig. Hier wurde sie von der Regierung nicht nur geduldet, sondern im Geheimen sogar unterstützt. Die O.C. war eine militärisch gegliederte, straff geführte Organisation, die am Anfang vor allem aus ehemaligen Offizieren der Brigade Ehrhardt bestand. Über die Art und Weise, wie die O.C. geführt wurde und über die Gefährlichkeit der Organisation gehen die Meinungen in der Literatur auseinander. "Als Organisation betrachtet, bietet die O.C. ein kümmerliches Bild und hebt sich in nichts von anderen konventikelhaften Verbänden jener Zeit ab. Nicht wegen, sondern trotz ihres organisatorischen Aufbaus konnte die O.C. zu einer gewissen Bedeutung gelangen [...]." Krüger zeichnet das Bild einer schlecht funktionierenden Organisation, deren Leitung kaum Einfluss auf ihre Mitglieder hatte. Mauch schildert die meisten Mitglieder als psychisch so instabil, dass es keines ausdrücklichen Befehls für eine Handlung brauchte, d.h. alles mögliche konnte als Befehl aufgefasst werden, was einer schlagkräftigen Organisation widerspricht. Ein ganz anderes Bild wird bei Sabrow gezeichnet. Er schildert die Organisation als professionell und durchaus schlagkräftig. Korrespondenz wurde verschlüsselt und immer wieder an andere Adressen geschickt, geheime Waffenlager wurden angelegt und die O.C. erreichte im September 1921 einen Stand von mindestens 5000 Mann. Nachdem sie zunehmend mehr Mitglieder bekam, die nicht mehr direkt auf die Brigade zurückgingen, mussten neue Satzungen geschaffen werden. Im Zuge der Ermittlungen gegen die Erzbergermörder wurde die Münchner Zentrale der O.C. ausgehoben und dabei die Satzungen der Organisation beschlagnahmt. Aus ihnen gehen die Ziele der Organisation hervor. Es ging in der O.C. um die Bekämpfung der Verfassung, des Staates aber auch des Judentums. Aufgenommen werden konnten nur Deutsche. (Auch wenn Krüger betont, Ehrhardt sei kein Antisemit gewesen, so enthalten die Satzungen der Organisation, die er leitete, doch sehr viel antisemitisches Gedankengut!) Die Mitglieder schworen sich Treue und konnten immer die gegenseitige Unterstützung erwarten. Unter Paragraph 11 steht: "Verräter verfallen der Feme." D.h. Verräter wurden verfolgt und umgebracht. Dies mag mit dazu beigetragen haben, dass fast alle Angeklagten in den Mordprozessen die Beteiligung einer Organisation leugneten.

4 Die Reaktionen

Die Nachricht von der Ermordung verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Schon um 11 Uhr 25 informierte der Reichskanzler den Reichstag, etwa um 14 Uhr erschienen die ersten Extrablätter mit der amtlichen Todesmitteilung. Die zweimal erscheinenden Zeitungen in Berlin brachten schon am Abend ausführlichere Berichte.

 

4.1 Reaktionen der Öffentlichkeit

Die Ermordung Rathenaus löste ein politisches Erdbeben aus und brachte die Republik an den Rand eines Bürgerkriegs. Die Bestürzung und Abscheu war bis weit ins rechte Lager hinein tief. Am 25. Juni, einen Tag nach der Tat, beschlossen die Arbeiterorganisationen für den 27. Juni einen landesweiten Proteststreik für die Republik. Dem Streik schlossen sich jedoch nicht nur Arbeiter, sondern auch die Beamten an, nachdem die Regierung nur eine Aufrechterhaltung der dringendsten Tätigkeiten verlangte. Die Demonstration wurde ein voller Erfolg, riesige Menschenmassen versammelten sich in den Strassen Berlins und anderer Städte. Wie angespannt die Situation aber war, zeigte sich in den vielen Zwischenfällen. So gab es in Darmstadt bei Ausschreitungen mehrere Tote und Verletzte. Dass es nicht zum Bürgerkrieg kam, lag am entschlossenen Auftreten der Regierung, die sofort mit Notverordnungen reagierte und der Parteien, die bei den Kundgebungen zur Ruhe und Besonnenheit aufriefen. In den ersten Tagen waren die Kundgebungen für die Republik so stark, dass die Rechte in die Defensive gedrängt wurde und ihre Absichten, einen linken Aufstand herbeizuführen, der von rechts hätte niedergeschlagen werden können und mit der Einsetzung einer Rechtsregierung geendet hätte, als gescheitert ansehen musste.

 

4.2 Reaktionen der Regierung

Die Stimmung im Reichstag (eine Sitzung war auf den Nachmittag des 24. Juni angesetzt) nach der Nachricht war sehr gespannt, es kam zu Tumulten zwischen Links und Rechts. "Gestatten Sie mir aber die dringende Bitte, dass Tätlichkeiten in diesem Hause unterbleiben. ([...] Grosse Unruhe) [...] Ich möchte alle Parteien bitten, den Sitzungssaal zu verlassen, bis die Sitzung angesetzt ist. (Lebhafte Rufe bei den Kommunisten und bei den Unabhängigen Sozialdemokraten: Ins Zuchthaus! Sonst fliegen die Burschen heute raus! Es sind die Intellektuellen Mörder!)" Schon in der ersten Sitzung wurde von den Gehilfen der Täter gesprochen, ohne die die Tat gar nicht möglich gewesen wäre. Der Zorn der Linken wandte sich gegen Helfferich, den DNVP Politiker, der am Tag zuvor eine Hetzrede gegen Rathenau gehalten hatte. Die Regierung erkannte die Gefahr und erliess gestützt auf Artikel 48 der Verfassung die "Verordnung zum Schutze der Republik", die Reichskanzler Wirth in der Sitzung vom Samstagabend verlas. Sie umfasste vier Abschnitte: Der erste wandte sich gegen Vereinigungen, die der Republik und ihren Vertretern schaden konnte, der zweite befasste sich mit den Strafbestimmungen, im dritten ging es um die Errichtung eines speziellen Staatsgerichtshofs zum Schutz der Republik und der vierte Abschnitt beinhaltete Presseverbote. Am folgenden Tag nahmen die Parteien Stellung. Die Linke stimmte zu, brachte jedoch ihre Angst, die Gesetze, die gegen rechts gerichtet waren, würden später gegen sie verwendet, zum Ausdruck. Sie forderte eine schärfere Formulierung gegen die Rechte. Hinter die Regierung stellte sich die DDP, das Zentrum und die DVP. Die DNVP sprach sich für Staatsschutz aus, aber in einer anderen Weise. Der Höhepunkt der Debatte war unzweifelhaft die Rede von Wirth, die er mit den Worten schloss: "Da steht (nach rechts) der Feind, der sein Gift in die Wunden eines Volkes träufelt. – Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: dieser Feind steht rechts!" Es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, die weitere Umsetzung der Republikschutzverordnung zu verfolgen. Sicher hat das rasche und entschlossene Handeln der Regierung mit dazu beigetragen, das Land vor dem Ausbruch eines Bürgerkrieges zu bewahren.

 

4.3 Reaktionen der Justiz

Die Justiz war eine Schwachstelle der Weimarer Republik. Im Zusammenhang mit politisch motivierten Vergehen drückten die Richter bei der Gefahr von rechts beide Augen zu, während sie die Linke mit Argusaugen beobachteten. Dies war mit ein Grund für das Scheitern der Republik. Schon 1924 publizierte der Heidelberger Professor Emil Julius Gumbel folgende Statistik:

Politische Morde begangen von

Rechtsstehenden

Linksstehenden

ungesühnte Morde

326

4

teilweise gesühnte Morde

27

1

gesühnte Morde

1

17

Gesamt

354

22

Diese Statistik bezieht sich nur auf die ersten fünf Jahre der Weimarer Republik. Sie macht deutlich, wie ungleich die Täter durch die Gerichte behandelt wurden. Was aus dieser Tabelle nicht hervorgeht aber ebenso markant ist, ist die unterschiedliche Höhe der Strafe: Viele Linke mussten lange Zuchthausstrafen verbüssen oder wurden gar mit dem Tod bestraft, während die Morde von Rechten mit kurzen Gefängnis- oder sogar nur Geldstrafen abgegolten wurden. Die Art der Rechtsprechung lässt sich zu einem grossen Teil aus der Herkunft der Richter erklären. Sie waren immer noch die gleichen wie unter dem Kaiser, stammten aus der gehobenen Schicht des wohlhabenden Bürgertums, dem gehobenen Mittelstand oder waren Söhne von Richtern und sonstigen Beamten und standen der Republik deshalb grossteils ablehnend gegenüber.

Da die beiden Haupttäter bei der Verhaftung umgekommen waren, konnte das Gericht nur den Helfern den Prozess machen. Das dafür zuständige Gericht war der durch die Gesetze zum Schutz der Republik neu gebildete Staatsgerichtshof. (In dem neben drei Berufsrichtern auch sechs Laienrichter Einsitz hatten, was das Misstrauen der Regierung gegen die Gerichte zeigt.) Das Interesse der Öffentlichkeit am Prozess war überwältigend gross, man wollte wissen, ob es sich um "die Tat einiger unreifer Burschen oder eine Tat einer Mörderorganisation" gehandelt hatte. Überraschenderweise beschränkte sich das Gericht aber auf die Rekonstruktion der Tatvorbereitungen und klammerte die Verwicklung und Beteiligung der O.C. aus. Der Ablauf der Tat wurde denn auch lückenlos geklärt, nicht aber, wie die beiden Mörder miteinander Kontakt aufgenommen hatten, oder weshalb die Täter in ganz Deutschland auf Unterstützung zählen konnten: Sie kamen ohne grosses Suchen an ein Auto einen Fahrer und eine Maschinenpistole heran. Keiner der Täter konnte erklären, woher die finanziellen Mittel stammten, vieles deutete auf eine Verschwörung hin. An eine Verschwörung glaubte auch der Oberreichsanwalt, konnte aber auf Grund mangelnder Beweise und der sich widersprechenden Aussagen den Angeklagten nichts nachweisen. Techow, der Fahrer des Wagens, wurde zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, andere Mittäter so mild, dass das Urteil in der Rechtspresse als Erfolg bewertet wurde.

5 Schlusswort

Ich habe die Ereignisse geschildert, die zu Rathenaus Ermordung hinführten, seinen Lebenslauf skizziert, die Ermordung, den Täterkreis und die Reaktionen dargestellt. Neben der Verwunderung, mit welcher Leichtigkeit Politiker in der frühen Weimarer Republik umgebracht werden konnten, bleibt immer noch die Frage nach den Motiven der Täter im Rathenaumord und die Frage, ob die O.C. den Mord befahl oder nicht.

In den Prozessen gegen die Mittäter des Mordes wurden die Motive, sofern sie nicht ausgeklammert wurden, auf blindwütigen Judenhass reduziert. Dem folgten bis heute die meisten Darstellungen, auch wenn Techow immer wieder bestritt, aus antisemitischen Gründen gehandelt zu haben, vielmehr sei die Tat ein Schlag gegen das System, gegen die Weimarer Republik gewesen. Zudem stammten die Täter der Anschläge gegen Erzberger und Scheidemann aus demselben Lager, weder Erzberger noch Scheidemann war jedoch Jude. Ein Schlag gegen ein System, verübt von jugendlichen unreifen Tätern erscheint mir wenig glaubwürdig. Das Herbeiführen einer linken Revolution, die dann durch die O.C. und andere rechte Organisationen hätte niedergeschlagen werden können und möglichst mit der Einsetzung einer Rechtsregierung geendet hätte, war das Ziel der O.C.. Der Rathenaumord wurde nach Aussagen der Mittäter zu diesem Zweck ausgeführt. Das Urteil gegen die Mittäter war also ein Fehlurteil. Das muss noch nicht heissen, dass der Mord an sich von der O.C. befohlen worden war. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass Ehrhardt, der Leiter der O.C., vom Mord wusste und ihn sogar befohlen hatte. Das Attentat reiht sich in eine ganze Serie geplanter Attentate zum Sturz der Regierung, wie Ehrhardt in einer Rede zur Jährung des Todestags der Rathenaumörder elf Jahre später festhielt. Dass Ehrhardt wütend wurde, als er über den Anschlag erfuhr, hängt nicht mit dem Mord zusammen, sondern mit der Art und Weise der Unterrichtung: Der Bote hielt sich nicht an den Dienstweg, er gefährdete damit den steckbrieflich gesuchten Ehrhardt, dessen Organisation und die politischen Pläne.

Über die Verstrickung der O.C. in den Mord, über die genaue Rolle Ehrhardts könnte noch weiter geforscht werden. Ebenso wäre es interessant, die weitere Entwicklung des Republikschutzes zu betrachten. Wurden die Gesetze, wie die Linke beim Erlass befürchtete, später von der Rechten gegen links verwendet? Auch der weitere Weg der Täter und ihre Rolle im Dritten Reich könnte näher betrachtet werden.

 

 

Anhang

Aus den Satzungen der O.C.

Die Ziele unserer Partei ergeben sich aus der Lage

  1. Geistig:
  1. Weiteste Pflege und Verbreitung des nationalen Gedankens.
  2. Bekämpfung alles anti- und internationalen, des Judentums, der Sozialdemokratie und der linksradikalen Parteien.
  3. Bekämpfung der antinationalen Weimarer Verfassung mit Wort und Schrift. Aufklärung weiter Kreise über die Verfassung
  4. Propagierung einer für Deutschland allein möglichen Verfassung auf förderalistischer Grundlage.
  1. Materiell:
  1. Sammlung von entschlossenen nationalen Männern zu dem Zweck:
  1. die vollständige Revolutionierung Deutschlands zu verhindern,
  2. bei grossen inneren Unruhen deren vollständige Niederwerfung zu erzwingen und durch Einsetzen einer nationalen Regierung die Wiederkehr der heutigen Verhältnisse unmöglich zu machen,
  3. die durch den Versailler Vertrag angestrebte Entmannung und Entwaffnung unmöglich zu machen und dem Volke seine Wehrmacht und die Bewaffnung – so weit wie möglich – zu erhalten.

[...]

§ 3 Sie [die Mitglieder] verpflichten sich, untereinander ein Schutz- und Trutzbündnis zu schlies-sen, wodurch jeder Angehörige der Organisation der weitgehendsten Hilfe aller anderen Mitglieder sicher sein kann.

§ 4 Die Mitglieder verpflichten sich, ein Machtfaktor zu sein, um geschlossen als starke Einheit dazustehen, wenn die Not, die Ehre unseres deutschen Volkes und die Erreichung unserer Ziele es erfordert.

§ 5 Jeder verpflichtet sich zu unbedingtem Gehorsam gegenüber de Leitung der Organisation und deren Organen.

[...]

§ 10 Jedes Mitglied verpflichtet sich, über alle Nachrichten, die ihm von der Leitung direkt oder durch andere Mitglieder zugehen, gegenüber jedem nicht der Organisation Angehörigen das strengste Stillschweigen zu bewahren und in irgendwelchem Schriftverkehr, der mit der Organisation im Zusammenhang steht die grösste Vorsicht walten zu lassen.

§ 11 Verräter verfallen der Feme. Dies gilt auch für die nach § 9, b-d [unfreiwillig] ausgeschiedenen Mitglieder.

Verordnung zum Schutze der Republik

26. Juni 1922

Auf Grund des Artikels 48 der Verfassung des Deutschen Reichs wird zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung für das Reichsgebiet folgendes verordnet:

I. Verbotene Vereinigungen

§ 1

Versammlungen, Aufzüge und Kundgebungen können verboten werden, wenn die Besorgnis begründet ist, dass in ihnen Erörterungen stattfinden, die zur gesetzwidrigen Beseitigung der republikanischen Staatsform oder zu Gewalttaten gegen Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes aufreizen, solche Handlungen billigen oder verherrlichen oder die republikanischen Einrichtungen des Staates in einer den inneren Frieden des Staates gefährdenden Weise verächtlich machen. Vereine und Vereinigungen, die Bestrebungen dieser Art verfolgen, können verboten und aufgelöst werden.

§ 2

Zuständig für Massnahmen nach § 1 sind die Landeszentralbehörden oder die von ihnen bestimmten Stellen. Der Reichsminister des Innern kann die Landeszentralbehörden um die Anordnung einer solchen Massnahme ersuchen. Glaubt die Landeszentralbehörde einem solchen Ersuchen nicht entsprechen zu können, so teilt sie dies spätestens am zweiten Tage nach Empfang des Ersuchens dem Reichsminister des Innern mit und ruft gleichzeitig die Entscheidung des im Abschnitt III vorgesehenen Staatsgerichtshofs zum Schutze der Republik an. Entscheidet dieser für die Anordnung, so hat die Landeszentralbehörde die erforderlichen Massnahmen sofort zu treffen.

§ 3

Gegen die Anordnung nach § 1 ist binnen zwei Wochen vom Tage der Zustellung oder Veröffentlichung ab die Beschwerde zulässig; sie hat keine aufschiebende Wirkung. Die Beschwerde ist bei der Landeszentralbehörde einzureichen. Diese kann ihr, ausser im Falle des § 2 Abs. 2, abhelfen; andernfalls hat sie die Beschwerde unverzüglich dem Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik zur Entscheidung vorzulegen.

§ 4

Wer nach § 1 verbotene Versammlungen, Aufzüge oder Kundgebungen veranstaltet oder in solchen als Redner auftritt, wird mit Gefängnis von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, neben dem auf Geldstrafe bis zu fünfhunderttausend Mark erkannt werden kann.

II. Strafbestimmungen zum Schutze der Republik

§ 5

Mit Gefängnis von drei Monaten bis zu fünf Jahren, neben dem auf Geldstrafe bis zu fünfhunderttausend Mark erkannt werden kann, wird, soweit nicht andere Vorschriften eine schwerere Strafe androhen, bestraft:

  1. wer öffentlich Gewalttaten gegen die republikanische Staatsform oder gegen Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes verherrlicht oder billigt, oder wer solche Gewalttaten belohnt oder begünstigt;
  2. wer zu Gewalttaten gegen Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes auffordert, aufwiegelt oder solche Gewalttaten mit einem andern verabredet;
  3. wer die Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes verleumdet oder öffentlich beschimpft;
  4. wer öffentlich die republikanische Staatsform oder die Reichs- oder Landesfarben beschimpft;
  5. wer an einer Verbindung der im § 128 und im § 129 des Strafgesetzbuchs bezeichneten Art teilnimmt, wenn die Verbindung den Zweck hat, die republikanische Staatsform zu untergraben.

III. Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik

§ 6

Bei dem Reichsgerichte wird ein Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik errichtet.

Der Gerichtshof entscheidet in einer Besetzung von sieben Mitgliedern. Die Mitglieder werden vom Reichspräsidenten ernannt; drei von ihnen sind Mitglieder des Reichsgerichts, die übrigen vier Mitglieder brauchen nicht die Fähigkeit zum Richteramte zu haben. Für die ordentlichen Mitglieder sind Stellvertreter zu ernennen. Die notwendigen ergänzenden Anordnungen trifft der Reichsminister der Justiz.

Anklagebehörde ist die Reichsanwaltschaft. Der § 147 Abs. 2 und der § 153 des Gerichtsverfassungsgesetzes gelten entsprechend.

Auf das Verfahren finden die Vorschriften über das Verfahren vor den Strafkammern entsprechende Anwendung. Der Reichsminister der Justiz kann besondere Vorschriften erlassen.

§ 7

Der Staatsgerichtshof ist zuständig:

  1. für Gewalttaten gegen die republikanische Staatsform des Reichs oder gegen Mitglieder der jetzigen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reichs oder eines Landes;
  2. für die nach § 5 dieser Verordnung strafbaren Vergehen.

Die Anklagebehörde kann eine Untersuchung an die örtlich zuständige Staatsanwaltschaft abgeben; der Staatsgerichtshof kann eine bei ihm anhängig gewordene Untersuchung auf Antrag der Anklagebehörde zum ordentlichen Verfahren verweisen.

Diese Vorschriften sind auch anzuwenden auf die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung begangenen strafbaren Handlungen. Ist in der Sache bereits ein Urteil ergangen, gegen das die Revision zulässig ist, so entscheiden über die Revision die ordentlichen Gerichte.

IV. Beschlagnahme und Verbot von Druckschriften

§ 8

Die Vorschriften des Gesetzes über die Presse vom 7. Mai 1874 über die Beschlagnahme von Druckschriften (§ 23 ff. des Gesetzes) finden auch auf die im § 5 dieser Verordnung bezeichneten Vergehen mit der Massgabe Anwendung, da gegen den Beschluss des Gerichts, der die vorläufige Beschlagnahme aufhebt, die sofortige Beschwerde stattfindet und die Beschwerde aufschiebende Wirkung hat.

§ 9

Wird eine Beschlagnahme einer periodischen Druckschrift durch das zuständige Gericht angeordnet oder bestätigt, so kann die Druckschrift bis auf die Dauer von vier Wochen verboten werden. Auf die Zuständigkeit und das Verfahren finden die Vorschriften der §§ 2 und 3 Anwendung.

§ 10

Wer eine nach § 9 verbotene periodische Druckschrift herausgibt, verlegt, druckt oder verbreitet, wird mit Gefängnis von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, neben dem auf Geldstrafe bis zu fünfhunderttausend Mark erkannt werden kann.

V. Schlussbestimmungen

§ 11

Mitglieder der Regierung des Reichs im Sinne dieser Verordnung sind der Reichspräsident, der Reichskanzler und die Reichsminister.

§ 12

Die Artikel 118, 123, 124 der Reichsverfassung werden, soweit sie den Bestimmungen dieser Verordnung entgegenstehen, vorübergehend ausser Kraft gesetzt.

§ 13

Die Verordnung tritt mit der Verkündung in Kraft

Berlin, den 26. Juni 1922

Der Reichspräsident

Ebert

 

Der Reichskanzler

Dr. Wirth

 

Der Reichsminister der Justiz

Dr. Köster

 

Der Reichsminister der Justiz

Dr. Radbruch

 

Bibliographie

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Verhandlungen des Reichstags. 1. Wahlperiode 1920. Von der 236. Sitzung am 25. Juni 1922 bis zur 256. Sitzung am 18. Juli 1922, Stenographische Berichte Bd. 356, Berlin 1922.

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Anmerkungen