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§;Ein Jubiläum als Impulsgeber: die 150. Wiederkehr der Revolutionsdaten
des Jahres 1848 gab Anlaß zu einer Fülle an Neuveröffentlichungen und Ausstellungen.
Erschöpft ist der Themenkomplex "Revolution 1848" damit dennoch nicht. Immerhin
jedoch zwingt die vorhandene Materialfülle zur gezielten Suche nach neuen Ansätzen, will
man in seiner Arbeit mehr als eine bloße Paraphrasierung des bisher Gesagten erreichen.
In der vorliegenden Arbeit wurde daher zur Präzisierung des eigenen Blickwinkels in
dreifacher Hinsicht eine Selbstbeschränkung vorgenommen, nämlich in zeitlicher (Vormärz
und Märzereignisse), regionaler (behandelt werden ausschließlich die Großstädte Wien
und Berlin) und sozialer Hinsicht (im Mittelpunkt stehen Arbeiter und Studenten [1]).
Die Wahl letztgenannter Gruppen erklärt sich wie folgt: Als neue, in der Herausbildung
befindliche Schicht in einer Zeit wirtschaftlichen und sozialen Umbruchs - "weder
Stand noch Klasse", wie Jürgen Kocka in einem Buchtitel treffend feststellt[2] - ist die Arbeiterschaft Mitte des 19. Jahrhunderts
als Forschungssujet reizvoll. Welcher Stellenwert muß ihr in den Märzereignissen
beigemessen werden: unpolitische Manipulationsmasse gebildeter Agitatoren in einer
"Bürgerrevolution" (Nipperdey)[3] oder
Revolutionsträger mit neu erwachtem politischen Selbstbewußtsein?
Als traditionell neuen Ideen gegenüber aufgeschlossen geltende Gruppe lag eine
Betrachtung der Studentenschaft beider Städte nahe. Besonders interessant erscheint dabei
die "Teilsolidarisierung" der Wiener Studenten mit der örtlichen
Arbeiterschaft, die in Berlin offenbar kein Gegenstück findet und deren Gründe zu
untersuchen lohnend erscheint.
Um eine angemessene Beurteilung der sich herausstellenden Verhaltensmuster beider Gruppen
in den Märzereignissen zu ermöglichen, werden deren Betrachtung einige Abschnitte zwecks
Hintergrunddarstellung vorausgeschickt: eine knappe Übersicht der Bevölkerungsstruktur
beider Städte ist (soweit es der Forschungsstand erlaubte) ebenso vorhanden wie eine
Beschreibung der wirtschaftlichen Entwicklung im Vormärz als wesentlicher Einflußfaktor
auf die Entstehung der Revolution. Ein genauerer Blick auf die wirtschaftliche Situation
und gesellschaftliche Stellung der zu untersuchenden Gruppen soll erste Aufschlüsse zu
Unterschieden und Gemeinsamkeiten in Sachen Revolutionsmotivation, -zielen und Mentalität
bringen. Eine ereignisgeschichtliche Skizze der wichtigsten Geschehnisse der Wiener und
Berliner Märzrevolution liefert schließlich den Rahmen, innerhalb dessen die im dann
folgenden Abschnitt über Verhaltensmuster während der Märzereignisse besonders
zahlreich herangezogenen Quellen betrachtet werden müssen.
Die größte Chance, die sich aus der gewählten Vorgehensweise und Gliederung ergibt
(Berlin und Wien werden strikt abwechselnd zu jedem Themenbereich behandelt), ist die des
Vergleichs, trotz der Schwierigkeiten, die der unterschiedliche Forschungsstand und die
oft stark voneinander differierenden Ziele und Vorgehensweisen der zu diesen Städten
arbeitenden Historiker unvermeidlich aufwerfen: Eine Gegenüberstellung der Motivationen,
Ziele und Handlungen der Arbeiter und Studenten Wiens mit denen Berlins macht Erkenntnisse
möglich, die in einer separaten Untersuchung dieser Gruppen für beide Städte nicht
gewonnen werden könnten und eröffnet neue Perspektiven. Die aus dem Vergleich gewonnenen
Schlußfolgerungen werden im letzten Abschnitt im Rahmen einer Zusammenfassung der
gefundenen Unterschiede und Gemeinsamkeiten vorgestellt.
Die Erforschung der Revolution von 1848 in Berlin in ihren politischen,
wirtschaftlichen und sozialen Aspekten ist recht weit fortgeschritten. Seit Erscheinen der
Studie "Berlin 1848" von Rüdiger Hachtmann liegt ein methodisch wie inhaltlich
vielfältiger, umfassender Überblick des gegenwärtigen Kenntnisstandes zu diesem Thema
in nahezu allen denkbaren Aspekten vor.[4] Der
Arbeit liegt eine Vielfalt an Quellenmaterial und statistischen Daten sowie eine
beeindruckende Basis an Fachliteratur zugrunde. Präsentation und Argumentation bleiben
angenehm frei von ideologisch befrachteter Glorifizierung bzw. Verdammung bestimmter
Bevölkerungsteile; liegen kontroverse Lehrmeinungen vor, wählt Hachtmann in der Regel
einen mittleren Standpunkt zwischen denselben.[5]
Weniger neutral als idealisierend, dennoch erkenntnisreich und oft gerade durch ihre
Provokanz stimulierend sind die Arbeiten Manfred Gailus` zu den Berliner Unterschichten
(dem "Pöbel"), ebenso lohnend, aber zusätzlich nüchterner in Beschreibung und
Wertung, sind die Arbeiten Dieter Bergmanns zur Arbeiterschaft in Vormärz und Revolution
sowie Jürgen Bergmanns zum Handwerk.[6]
Den "proto-klassenkämpferischen" Aspekt der Märzereignisse heben, wenig
verwunderlich, Werke der DDR-Geschichtsschreibung hervor.[7]
Mit der nötigen kritischen Distanz betrachtet sind sie dennoch nützlich; zumal wenn sie
eher selten gesondert betrachtete Themen behandeln wie Karl Obermanns Aufsatz zur
Friedrich-Wilhelm-Universität in der Revolution.[8]
In knapper Form finden sich Informationen über die Berliner Studentenschaft auch in
Thielbeers Studie zu deutschen Universitäten im Revolutionsjahr.[9] Der Fülle neu erschienener Gesamtbetrachtungen zur deutschen
Revolution 1848/49 wurden aus Gründen der leichteren Verfügbarkeit bei ungebrochener
Validität die Arbeiten Siemanns und Wollsteins vorgezogen.[10]
Die Erforschung der Revolution 1848 mit Regionalschwerpunkt Wien ist
weniger weit fortgeschritten als die zum Thema "Berlin 1848". Eine so umfassende
Studie wie Hachtmanns so betiteltes Werk ist noch nicht vorhanden. Als wichtige
Voraussetzung für ihre Erstellung fehlen noch immer solide statistische Grundlagen zur
Ermittlung von (unter anderem) Sozialstruktur und Erwerbsstruktur der Bevölkerung. In
Umfang und Tiefgang am ehesten mit Hachtmann vergleichbar, thematisch jedoch enger
zugeschnitten auf die Erforschung speziell der Lebensumstände und Verhaltensmuster der
sozialen Unterschichten Wiens kurz vor und in der Revolution, ist (auch fast 20 Jahre nach
Erscheinen) nach wie vor Wolfgang Häuslers Werk "Von der Massenarmut zur
Arbeiterbewegung".[11] Zur Veranschaulichung
und zum Beleg zieht das Werk zahlreiche Quellen heran.
Die Rolle der Studenten während der Märzereignisse ist auch in Wien schlechter erforscht
als die der Arbeiter. Nur teilweise wird diese Lücke durch die Dissertationsschrift Klaus
Walter Freys gefüllt, da in seiner Untersuchung die freiheitlich-burschenschaftliche
Bewegung, also ein kleiner Teil der Studentenschaft, den größten Raum einnimmt.[12] Den Schriften Freys und Häuslers gemein ist
(hier eine Parallele zur Methodik Hachtmanns) eine weitgehend apolitische, wertneutrale
Haltung, die auf Dämonisierung der "Bourgeoisie" und Glorifizierung des
"Proletariats" verzichtet.[13]
An Gesamtstudien zur Revolution 1848 wurden, ergänzend zu den unter 1.2.1 erwähnten, die
Werke Veit Valentins sowie Dieter Langewiesches herangezogen.[14]
An gedruckten Quellen zur Berliner Märzrevolution herrscht kein
Mangel. Schon das aufblühende Pressewesen, mit zahlreichen Beispielen zitiert bei
Hachtmann und anderen,[15] sorgt für eine
Vielzahl an gedruckt vorliegenden Standpunkten und Lageberichten, hinzu kommen unzählige
erhaltene Flugblätter. Mit der "Berliner Revolutionschronik" des liberal
gesinnten Berliner Journalisten Adolf Wolff liegt zudem ein umfassendes, neben eigenen
Betrachtungen zahlreiche andere Quellen zitierendes, zeitgenössisches Werk vor - eine
wahre Fundgrube für Historiker auf Materialsuche.[16]
Als konservatives Gegenstück zu Wolffs Standpunkt dürfen die Erinnerungen des Generals
von Prittwitz, Oberbefehlshaber des preußischen Militärs während der Märzereignisse,
gelten.[17] Von studentischer Seite stechen
besonders die Erinnerungen des radikaldemokratisch eingestellten Paul Boerner sowie des
gemäßigten Liberalen Ludwig Karl James von Ägidi hervor.[18]
Trotz der festgestellten Materialfülle bleibt eine Schwierigkeit bei der Quellensuche
bestehen: aus naheliegenden Gründen (unter anderem mangelnder Alphabetisierung) liegen
kaum unmittelbare Zeitzeugnisse aus den sozialen Unterschichten vor.[19] Aus der notgedrungen (wohlmeinend oder kritisch) verzerrten
Perspektive von Berichten aus dem Bürgertum oder den zahlreich vorhandenen
Prozeßberichten (welche ihrerseits durch Unwahrheiten und Lügen der Angeklagten und
Zeugen verzerrt sind) können jedoch mögliche politische Einstellungen aus
soziokulturellen Verhaltensmustern erschlossen werden.[20]
Auch zur Wiener Revolution 1848 ist eine Vielzahl von Quellen erhalten.
Da ein Zugriff auf die dortigen Archive für diese Arbeit nicht möglich war, muß ein
Rückgriff auf im Druck vorliegende Quellen erfolgen. Es existieren zahlreiche Werke, die
kurze Zeit nach der Revolution erschienen und reich an Illustrationen und verwendbaren
Materialien sind.
Zu nennen ist hier in erster Linie das Werk Heinrich Reschauers und Moritz Smets`, das ein
Vierteljahrhundert nach der Revolution erschien und dessen Verfasser als Zeitgenossen viel
Selbsterlebtes in ihre Darstellung einfließen ließen.[21]
Es enthält die wohl ausführlichste Schilderung der Ereignisse aus liberaler Perspektive.
Auch die zum fünfzigjährigen Gedenken erschienenen Darstellungen Ernst Victor Zenkers
und Maximilian Bachs sind reich an verwertbaren Quellen.[22] Zenkers Arbeit sticht durch einen ersten Versuch einer
sozialgeschichtlichen Interpretation der Ereignisse hervor. Besonders ergiebig sind
weiterhin die Erinnerungen Ernst Violands, besonders in Bezug auf die Stellung der
Arbeiterschaft in der revolutionären Entwicklung.[23]
Schriftliche Zeugnisse aus den sozialen Unterschichten sind, ähnlich wie in Berlin, fast
nicht ausfindig zu machen, wodurch auch hier ein Rückgriff auf Berichte von bürgerlicher
Seite sowie auf Behördenprotokolle unerläßlich ist.
Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs die
Einwohnerzahl Berlins so dramatisch, daß es nicht übertrieben erscheint, von einer
Bevölkerungsexplosion zu sprechen. Die statistisch erfaßte Gesamtbevölkerung der Stadt,
die im Jahre 1800 noch 172.122 betragen hatte, wuchs bis 1846 auf rund 397.000 an - eine
Zunahme um immerhin 230 Prozent. Obwohl für 1848 selbst keine Zahlen vorliegen, kann für
dieses Jahr eine Gesamtbevölkerung von über 400.000 als sicher angenommen werden. Ein
überwältigend großer Anteil des Bevölkerungswachstums - 1846 z.B. rund 93% - ergab
sich dabei nicht etwa aus innerstädtischen Geburten, sondern aus Migrationsbewegungen,
mehrheitlich aus den preußischen Provinzen, allen voran Brandenburg.[24]
In der Reihenfolge einer sozialen Schichtung nach "Ansehen" ergibt sich
folgendes Bild der Sozial- und Erwerbsstruktur:[25]
An der Spitze der "sozialen Pyramide" auch in Berlin stand der Adel, für
dessen Zahl leider keine gesonderten Statistiken vorliegen (er ist für die nachfolgende
Beurteilung auch von untergeordneter Bedeutung). [26] Auf alle Fälle dürfte sein Anteil an der
Berliner Bevölkerung verschwindend gering sein. Kaum größer ist der Anteil des Großbürgertums,
das andernorts auch als Wirtschaftsbürgertum bezeichnet wird, also der Anteil der
größeren Kaufleute, Fabrikanten und Bankiers. Er beträgt nur 0,57% aller
Erwerbsfähigen.[27] Mit 0,62% ist der Anteil der
höheren Kommunal- und Staatsbeamten kaum größer. Rechnet man sie ebenfalls dem
Großbürgertum zu, steigt dessen Anteil auf insgesamt 1,19%.[28] Das politisch-gesellschaftliche Gewicht von Adel und Großbürgertum
darf jedoch als durchaus umgekehrt proportional zum Bevölkerungsanteil angenommen werden.[29]
Zur leichteren Vergleichbarkeit mit der zur Betrachtung Wiens herangezogenen Fachliteratur
sei hier für alle weiteren Schichten zwischen den genannten und den Unterschichten der
Terminus Kleinbürgertum verwandt; auf eine gesonderte Aufzählung der
Mittelschichten wie bei Hachtmann wird verzichtet. Der Anteil des Kleinbürgertums liegt
so bei 18,01%. Der hier sehr weit gefaßte Kleinbürgertumsbegriff resultiert in einer
recht heterogenen Zusammensetzung der dieser Schicht zugeschlagenen Einwohner Berlins. Sie
enthält die im "Beamten- und Bildungsbürgertum im Staatsdienst" Beschäftigten
ebenso wie die politisch oft in Erscheinung tretende "freiberufliche
Intelligenz" (Ärzte, Lehrer, Geistliche, Journalisten usw.), die überproportional
oft liberale bis linksliberale, teils sogar demokratische und radikaldemokratische
Ansichten vertrat und meinungsbildend wirkte, genauso auch Studenten und (politisch meist
eher konservative und reformfeindliche als liberale und reformfreundliche) selbständige
Handwerksmeister und Kleinhändler.[30]
Die überwältigende Mehrheit der Berliner Bevölkerung jedoch, rund 80,8%, gehörte den Unterschichten
an. Immerhin ein achtel davon, 10,77%, waren "proletaroide Selbständige"
(Hachtmann), also beispielsweise verarmte Alleinmeister, die strenggenommen einer Grauzone
zwischen Kleinbürgertum und Unterschichten zugerechnet werden müßten. Qualifizierte
Arbeitskräfte, also beispielsweise Fabrikarbeiter (10,44%), Handwerksgesellen (21,34%)
sowie Handlungsdiener (6,02%), gehörten nach Selbstverständnis und Außendefinition
eindeutig nicht mehr zum Kleinbürgertum, obgleich sie teilweise mehr verdienten.
Unqualifizierte Arbeitskräfte, also beispielsweise Tagelöhner, machten rund 27% der
Bevölkerung aus, das "Subproletariat" aus Erwerbs- und häufig auch
Obdachlosen, Arbeitshaus-Insassen usw. 7,99% - letztere Zahl darf als deutlich zu gering
angenommen werden, da die "Subproletarier" statistisch schwierig zu erfassen
waren und deren Erfassung von staatlicher Seite zudem nicht für wenig relevant erachtet
wurde.
Der rapide Anstieg der Einwohnerzahl, den Berlin verzeichnete, war auch
in Wien zu beobachten. So stieg von 1827 bis 1847 die Zahl der Einwohner von 289.382 auf
412.513.[31] Das entspricht einem Anstieg von
42,5%. Auch in Wien liegen die Ursachen des Bevölkerungswachstums hauptsächlich in der
Migrationsbewegung. So lebten in Wien 1848 ungefähr 60.000 Tschechen. Von 100
Verstorbenen des Jahres 1850 stammten lediglich 46 aus Wien. Besonders stark war die
Zunahme in den Vororten Wiens.[32] Dort waren
zwischen 1830 und 1851 Zuwachsraten zwischen 200% und 400% zu verzeichnen.[33] Zu begründen ist diese Entwicklung unter anderem dadurch, daß
aufgrund des Mangels an Baufläche in der Innenstadt die Mehrzahl der neuen Fabriken dort,
also außerhalb der historisch gewachsenen Stadtgrenzen, entstand.[34]
Die Ermittlung einer differenzierten Sozial- und Erwerbsstruktur Wiens ist aufgrund des
unter 1.2.2 erwähnten Mangels an gesichertem Zahlenmaterial derzeit noch nicht möglich.
Die Gesellschaftsgliederung in Form einer "sozialen Pyramide" mit dem Adel an
deren Spitze und den sozialen Unterschichten als (zahlenmäßig Adel und Kleinbürgertum
um ein Vielfaches übertreffendes) Fundament galt jedoch auch hier.
1848 sowie in den unmittelbar vorausgehenden Jahren war die
wirtschaftliche Entwicklung Preußens kaum besser als die Österreichs. Ebenso knapp wie
eindrücklich läßt sich das Ausmaß der Krise einer Festschrift der "Korporation
der Kaufmannschaft Berlins" (KKB) von 1870 entnehmen: "1846. Schlechte Erndte im
Inlande, Nothstände in einzelnen Provinzen, Geldmangel, Ueberproduktion der Fabriken.
1847. Schnell sinkende Getreidepreise, hoher Zinsfuss, Krisis. 1848. Grosse nationale und
demokratische Bewegung, Gewerbe und Handel leiden schwer und auf Jahre."[35]
Das Textil- und Bekleidungsgewerbe, nach wie vor (trotz allmählich abnehmender Bedeutung)
dominierender Wirtschaftszweig Berlins und zu beträchtlichen Anteilen bereits in Form
fabrikähnlicher Manufakturen unter Nutzung "moderner" Maschinen organisiert,
litt unter der Krise ebenso wie das Handwerk.[36]
Durch die preußischen Reformen zu Anfang des Jahrhunderts (ca. 1807-14), besonders die
Gewerbefreiheit, wurde dieser Trend verstärkt, da sie die alten Sicherheiten des
Zunftwesens abschafften und in gewisser Weise für "soziale Mobilität" sorgten,
in der Hauptsache freilich nach unten: "[...][E]inigen wenigen Handwerksmeistern
mochte es gelingen, zu freien Fabrikanten beziehungsweise Kleinunternehmern aufzusteigen,
der überwiegenden Mehrheit stand die Proletarisierung bevor."[37]
Die durch die Agrarkrise von 1846 ohnehin geschwächte Kaufkraft der breiten
Unterschichten wuchs durch anhaltend niedrige Löhne kaum an (effektiv sanken die
Realeinkommen sogar), besonders gegen Ende des Jahres 1847 litt die Berliner Wirtschaft
allgemein unter einem "groben Mißverhältniß zwischen Produktion und
Consumption" - es "mangelte an Absatz".[38]
Auch breite Teile des Kleinbürgertums, besonders kleine Kaufleute, mußten sich dadurch,
oft langfristig, verschulden.[39]
Der Anfang der dreißiger Jahre einsetzende Industrialisierungsprozeß, der die Textil-
und Bekleidungsindustrie ebenso umwandelte wie er neue Branchen hervorbrachte, z.B. die
(zahlenmäßig in den vierziger Jahren noch kaum relevante) Elektroindustrie, konnte dem
negativen Wirtschaftstrend nicht entgegenwirken.[40]
Auch die seit 1843 (unter anderem infolge des beginnenden Siegeszuges der Eisenbahn) immer
wichtiger gewordenen metallverarbeitenden Betriebe (angesiedelt meist vor dem
Oranienburger Tor), beispielsweise die ersten industriellen Großbetriebe A. Borsig und
C.A. Egells, erfaßte die Krise - wenn auch erst Anfang 1848, nach einer Phase starken
Wachstums. Dann aber sank allein in den Maschinenbau-Unternehmen Berlins in nur rund 6
Monaten die Zahl der Beschäftigten von 3-4.000 auf nur 2.000.[41]
Obwohl die schlechte Konjunktur Unternehmer ebenso wie Unterschichten betraf, bekamen
letztere aus nachvollziehbaren Gründen die Krise am deutlichsten zu spüren, nämlich
buchstäblich am eigenen Leibe: "1847 und Anfang 1848 mußten vermutlich etwa
hunderttausend Menschen oder ein viertel der Berliner Bevölkerung fürchten, über
kürzere oder längere Zeit sich nicht ausreichend ernähren zu können, weil die
erwachsenen Familienmitglieder ohne dauerhafte Beschäftigung und ohne reguläres
Einkommen waren."[42]
Die wirtschaftliche Situation Österreichs im Vormärz war, gleich der
Preußens und Berlins im besonderen, gekennzeichnet durch radikale strukturelle
Veränderungen, verursacht durch die zunehmende Konzentration der Produktion in
Manufakturen und Fabriken sowie den Prozeß der Mechanisierung.[43] Daß ausgerechnet in diese Phase des Umbruchs eine Wirtschaftskrise
fiel, hatte verheerende Folgen.
Folgende Entwicklungen führten zu weiteren wirtschaftlichen Belastungen:
1. Der verpaßte Anschluß an den deutschen Zollverein 1844.
2. Eine schwere Agrarkrise als Folge verhängnisvoller Mißernten in den Jahren 1845-1847,
wie sie auch in Preußen auftrat. Diese führte zu einem rapiden Anstieg der
Lebensmittelpreise und Hungersnöten in einigen Landesteilen.[44]
3. Eine Handelskrise, ausgehend von Großbritannien, brachte die Textilindustrie, die sich
noch in der Umbruchphase der Mechanisierung befand, ins Stocken.
Diese Handelskrise wirkte sich besonders stark auf die in den westlichen Vorstädten Wiens
angesiedelte Seidenindustrie aus, die mit verstärkten Absatzproblemen zu kämpfen hatte.
Zudem hatte die Einführung mechanischer Webstühle dazu geführt, daß die Frauen- und
Kinderarbeit zunahm und somit die Arbeitslosigkeit gerade der männlichen Bevölkerung,
stark stieg - eine auch in Berlin wahrnehmbare Entwicklung.[45] Neben der Seidenindustrie konzentrierten sich in den Vororten vor
allem die konsumnahen Textilbetriebe, die das im Wiener Becken erzeugte Baumwollmaterial
weiterverarbeiteten (Färbereien, Druckereien). Auch in diesen Betrieben führte die
zunehmende Mechanisierung zum Verlust vieler Arbeitsplätze. Die sogenannte
"Perotine", eine Maschine zur Bedruckung von Baumwolltüchern, machte in diesem
Bereich viele Gesellen brotlos.[46]
Zur entstehenden Elektroindustrie Berlins gab es in Wien kein Pendant. Auch der
Maschinenbau entwickelte sich langsamer.[47]
In Abschnitt 2.1 dieser Arbeit ist bereits festgestellt worden, daß
eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung Berlins, ganz ähnlich der Wiens, den
sozialen Unterschichten zuzurechnen war.[48] Die
immense Zahl der Zuwanderer verstärkte diesen Trend noch: Fast ausschließlich waren die
"Neu-Berliner" einfache, unqualifizierte Arbeitskräfte.[49]
In diesem Abschnitt (ebenso in 4.1.2) wird bewußt über die unter 1.1 angeführte, enge
Definition des Terminus "Arbeiter" als "unselbständige[r] Handarbeiter im
Handwerks- oder Fabrikbetrieb" hinausgegangen, also auch "Tagelöhner,
Handlanger, Knechte oder Gelegenheitsarbeiter" mit einbezogen. [50] Schließlich einte
diese Gruppen eine Gemeinsamkeit: für das Bürgertum und den Adel gehörten sie zum
,Pöbel`, und der war nicht eben wohlgelitten: "Der ,Pöbel` schien unkalkulierbar
[...] Er wurde zum Gegenstand positiver und vor allem negativer Mystifizierung, zum
Schreckensbild der konservativen, liberalen und auch nicht weniger demokratischer
Bürger." [51]
Wie das Arbeiterleben Mitte der 40er Jahre selbst auf wohlgesinnte bürgerliche Beobachter
wirkte, beschreibt der demokratisch eingestellte Journalist und Schriftsteller Friedrich
Saß:
Die Stunde, wo sie vom Dienst in der Fabrik erlöset sind, findet sie in der Branntweinstube, Männer und Frauen, Jünglinge und Mädchen. Dieses wüste Leben kann jeder deutlich bemerken, der abends durch die Köpenickerstraße geht, wo sich solche Arbeiterlokale in Kellern usw. befinden: Er wird häufig durch wüste Lieder, schallendes Gelächter, Gekreische und Geschrei festgehalten, es ist ihm aber nicht zu rathen, sich in die Lokale selber zu wagen, denn er ist dort der unangenehmsten Behandlung ausgesetzt. Die Erbitterung, mit der die Fabrikarbeiter alle übrigen Stände und Gesellschaftsstellungen betrachtet, liegt ganz natürlich in der unnatürlichen Lage, worin er sich ihnen gegenüber befindet.[52]
Diese "unnatürliche Lage" darf, auch wenn der Verfasser hier auf weitere
politische und soziale Zusammenhänge anspielt, zunächst und vordringlich als drückende
Armut verstanden werden.[53]
Arbeitstage von 12 bis 19 Stunden Dauer ließen weder Zeit für Weiterbildung noch für
andere Freizeitaktivitäten. Die erhaltenen Löhne gingen dabei nur in seltenen Fällen
(Musterzeichner, Modelltischler oder Kupferschmiede) über 10-15 Silbergroschen (Sgr.) pro
Tag, also ca. 300-450 Sgr. pro Monat, hinaus. Die Lebenshaltungskosten für Schlafstelle
und Nahrung allein betrugen aber für eine vierköpfige Familie bereits 9-10 Taler pro
Monat, Kleidung nicht eingerechnet (1 Taler entsprach 30 Sgr.).[54] Höhere Löhne zu zahlen oder die Arbeitszeit zu verkürzen, war
für Arbeitgeber nicht nötig, standen doch durch Einwanderung stets mehr als genug
Arbeitskräfte zur Verfügung. [55]
Zusätzlich war die Erwerbslosigkeit hoch; staatliche
"Arbeits-Beschaffungs-Maßnahmen" wie die Bestellung von arbeitslosen Gesellen
und Tagelöhnern als Erdarbeiter vor den Toren Berlins (vor allem den
"Rehbergen", daher der Name "Rehberger" für die vom Bürgertum als
"revolutionärer Popanz" - so Hachtmann - gefürchtete Gruppe) halfen nur wenig
und mehrten ob ihrer stupiden Natur die Unzufriedenheit der Beteiligten.[56]
Ähnlich schlecht wie Entlohnung und Arbeitsmarktsituation war die Wohnsituation: zwischen
1828-1846 stieg die Zahl der in einer Wohnung lebenden Personen von 4,74 auf 5,46.[57] Preiswerter Wohnraum mit Monatsmieten zwischen
1-50 Talern (also ca. 30-350 Sgr.) war relativ knapp: 50,66% der 1841 gezählten 32.193
vorhandenen Wohnungen zählten dazu - 80% der Erwerbstätigen aber gehörten (vgl. 2.1
dieser Arbeit) zu den schlecht bezahlten Unterschichten.[58] Der Wohnraum in den ersten "Mietskasernen", den 5
"Familienhäusern" im Voigtland vorm Hamburger Tor, war als Alternative zur
drohenden Obdachlosigkeit trotz schlechter Wohnqualität begehrt (Monatsmiete: 2
Taler/Monat, bis zu 9 Personen teilten sich die 25m² großen Zimmer).[59] Die fehlenden Erholungsmöglichkeiten und die mangelhafte Ernährung
äußerten sich in einem hohen Krankenstand: allein bei den Gesellen aller Berliner
Gewerke betrug er 1845 im Durchschnitt 36,5%.[60]
Trotz des weitverbreiteten Elends war die Mentalität der Arbeiter vor den
Märzereignissen keineswegs eine umstürzlerische, sondern durchaus eine staatstragende,
"preußisch-monarchische" (Gailus). Zwar wurden Polizei und Verwaltungsbeamte
häufig beschimpft - der Jubel bei Militärparaden aber kam durchaus aus vollem Herzen,
den König ließ man gerne einmal hochleben.[61]
An eine Veränderung des politischen Systems zur Verbesserung der eigenen Lage wurde in
der Arbeiterschaft vor den Märzereignissen trotz ihrer wenig erquicklichen Lage offenbar
kaum gedacht - "soziales Elend allein ,produziert` noch keine revolutionäre
Situation."[62]
Kam es doch trotz rigider polizeilicher Kontrollen einmal zu Unruhen, vereinigten sich die
"Einzelkörper" der Unterschichten doch einmal zum "Vielkörper
Pöbel" (Gailus)[63], so geschah dies aus
konkreten, unpolitischen Anlässen: die "Feuerwerksrevolution" vom 3. bis 5.
August 1835 etwa richtete sich gegen geplante Einschränkungen der öffentlichen Feiern,
besonders des Abbrennens von Feuerwerkskörpern, anläßlich des Königsgeburtstages.[64]
Not, nicht Vergnügen hingegen war die Antriebskraft hinter der
"Kartoffelrevolution" vom 21. bis 22. April 1847: Empört über überhöhte
Kartoffelpreise von bis zu 6 Sgr. pro Metze plünderten die Massen zunächst die
Kartoffelkarren auf dem Markt, danach Bäckereien, Fleischereien und andere Geschäfte.
Nachdem den bei der Kontrolle der Revolte erfolglosen Gendarmen am 22. April abends das
Militär zur Seite trat, war die Hungerrevolte rasch niedergeschlagen.[65] Politik fand in der "Kartoffelrevolution" allenfalls in
Form gelegentlicher Diskussionen über Parlamentsdebatten auf der Straße statt (nämlich
dort, wo Transparente über ihren Inhalt berichteten.[66]
"Symptomatisch ist, daß der König am 23. April 1847 unter den Linden unbehelligt
seinen Spaziergang machen konnte."[67]
Auch organisiertere Formen des Protestes, etwa "gemeinsame Absprachen [d.h. ein
Streik], wie sie bei den Kattundruckern schon im September 1830 vorgekommen waren,"
waren gleichfalls eher aus der Not geborene Rufe nach materieller Besserstellung und
keinesfalls gegen das politische System als solches gerichtet.[68]
Grundlagen und Voraussetzung für eine politische Willensbildung in der Arbeiterschaft
waren ja auch kaum vorhanden: Die Alphabetisierung war wenig fortgeschritten, Freizeit
für Weiterbildung knapp. Dennoch gründeten sich im Jahre 1844 immerhin drei
"Handwerkervereine", von denen einer, ins Leben gerufen von dem (bürgerlichen)
Stadtsyndikus Heinrich Hedemann, überaus erfolgreich werden sollte: Gegründet am
16.April 1844 mit rund 250 Mitgliedern, wuchs seine Mitgliederzahl rasch an. Bei
Revolutionsbeginn 1848 waren immerhin fast 10% der Berliner Gesellen darin organisiert.[69]
Zwar war der Verein an sich eher ein wohlmeinender bürgerlicher Versuch, über den Weg
der Bildung und kontrollierten Geselligkeit zur Mäßigung des "Pöbels"
beizutragen (ähnlich der wenig Zuspruch bei den Arbeitern findenden
"Mäßigungsvereine") - bald aber mischten sich in die angebotenen Vorträge
über Physik, Geschichte, Literatur usw. auch politische Inhalte, bedingt durch die oft
linksliberale oder sogar demokratische Gesinnung der Lehrer.[70] Gelegentlich sprachen auch Vertreter der Arbeiterschaft selbst, wie
etwa der Schlossergeselle Friedrich Juny Anfang Dezember 1847:
In seinem Vortrag setzte sich Juny mit dem (wie er es nannte) ,Spekulantentum` und der ,Habsucht' der Unternehmer auseinander. Er kritisierte, daß diese ihr Geld nur für Getreide- und Eisenbahnspekulationen verwendeten, ,um tausend [Taler] auf Millionen zu bringen`. Statt nun jedoch Aufhebung der Gewerbefreiheit oder eine Beschränkung der Maschinenarbeit zu fordern, verlangte Juny die ,Bildung großer Werkstätten mithilfe staatlicher Unterstützung oder auf genossenschaftlicher Basis. Erreichen könnte dies die ,unteren Volksklassen` nur, wenn sie auf die eigene Kraft vertrauten und beruftsständische Abgrenzungen überwänden: ,Darum, liebe Freunde [...]: erhaltet und befördert den Frieden unter Euch, so werdet ihr die Früchte wachsen sehen, die ihr in der Zersplitterung kaum geahndet [sic!] habt. Denn der vereinzelte Mensch ist nichts, aber vereint sind auch die Schwachen mächtig.[71]
Allzu häufig dürften solche offen politischen Vorträge nicht gewesen sein, anderenfalls
wäre mit Sicherheit ein Verbot des Vereins die Folge gewesen. Doch auch über implizierte
Parallelen zur Gegenwart in Geschichte und sogar Naturwissenschaften konnten politische
Überzeugungen an der Zensur "vorbeigeschmuggelt" werden.[72] Der Handwerkerverein gilt in der Literatur vielfach als
"Keimzelle der Arbeiterbewegung". Obgleich die Obrigkeit öfters ein Verbot
erwog, wurde davon aufgrund der schon bald sehr hohen Mitgliederzahl des Vereins und der
deshalb befürchteten Unruhen im Falle Abstand genommen. Trotz des Namens waren übrigens
durchaus nicht nur Handwerksgesellen Mitglieder - auch "Fabrikarbeiter" nahmen
an den Versammlungen teil.[73] Die Ärmsten unter
den Arbeitern im weiteren Sinne, nämlich die Tagelöhner, konnten jedoch nicht von dem
Angebot profitieren. Für sie war auch ein Monatsbeitrag von 2½ Sgr. noch zu hoch, zudem
ihre Freizeit quasi nicht vorhanden - und vielleicht auch ihr Interesse an Vorträgen
angesichts existenzbedrohender Nöte zu gering.[74]
Die dürfen jedoch auch bei den etwas besser gestellten Arbeitern nicht vergessen werden,
und sind, so man nach einer Motivation für eine mögliche Revolution sucht, auch 1848
dominierend. Das Elend verfolgende Bürger befürchteten Ende der 40er Jahre nicht umsonst
gewaltsam erzwungene Umwälzungen:
Die Unzulänglichkeit des Bestehenden kommt an allen Ecken unwiderstehlich an den Tag.[...] Unser ganzer Boden ist unterhöhlt, tausend Gänge sind hindurchgetrieben, endlich werden sie in ein großes Loch zusammenbrechen.[75]
Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien von "dem" Arbeiter zu
sprechen, ist - wie in Berlin -schwierig, da der später so genannte "Vierte
Stand" sich auch hier gerade erst herauszubilden begann. Seine Entstehung steht in
direktem Zusammenhang mit den gesellschaftlichen Veränderungen, die die industrielle
Revolution mit sich brachte.
Wie bereits erwähnt, waren viele Gesellen arbeitslos und hatten sich damit aus ihren
ehemaligen Handwerksbetrieben und deren Sozialgefüge gelöst.[76] Diese neue soziale Mobilität, gepaart mit einer ungewissen
Zukunftsperspektive war einer der wesentlichen Faktoren, die dazu führten, daß gerade
die Gesellen eine tragende Rolle bei den revolutionären Vorgängen in Wien spielten.
Von den Folgen der wirtschaftlichen Krise waren auch in Wien die sozialen Unterschichten
am stärksten betroffen. Ernst Violand schreibt über ihre Lebensverhältnisse in den
Arbeitervororten vor den Befestigungsanlagen der Stadt:
Ganze Vorstädte wie Thury, Lichtenthal, Altlerchenfeld, Strozzischer Grund, Magarethen, Hundsthurm, Neue Wieden, Fünf- und Sechshaus, wimmelten von ausgehungerten, zerlumpten Arbeitern, und abends erfüllten die unglücklichen Mädchen der Fabriken in dem jünglichsten, selbst Kindesalter die Glacien und den Stadtgraben, um für einige Groschen jedem dienstbar zu sein.[77]
Kriminalität, Prostitution und Alkoholismus waren an der Tagesordnung; auch kam es
vermehrt zu Plünderungen von Bäckerläden.[78]
Krisenbedingt waren auch in Wien die Reallöhne niedrig, zusätzlich verteuerte die auf
alle Nahrungsmittel erhobene "Verzehrsteuer" die Lebenshaltungskosten.[79] So hatte nach den Berechnungen der
"Donau-Zeitung" 1848 eine fünfköpfige Familie, deren Eltern beide
erwerbstätig waren, ein Einkommen von 230 Gulden pro Jahr. Abgezogen wurden davon: Miete
30 Gulden, Reinigung der Wäsche 5 Gulden, Brennmaterial 8 Gulden, Kleidung und Wäsche 30
Gulden und Fußbekleidung im Wert von 8 Gulden. Lediglich 24 Kreuzer pro Tag verblieben
zur Verköstigung. Ein selbst zubereitetes Mittagessen kostete nach diesen Angaben jedoch
mindestens 20 Kreuzer. Trotz der variierenden Angaben über die Wiener Arbeiterlöhne in
der Literatur läßt sich feststellen, daß sie im allgemeinen kaum zur Ernährung einer
Familie ausreichten.[80]
Die Wohnungssituation war der in Berlin vergleichbar. Sie schildert der Nationalgardist
Anton Langer:
[...]Elende, kleine, niedere Zimmer, deren Atmosphäre von aufgehängter Wäsche, dem aus der Küche hineinschlagenden Rauch, durch unreine kleine Kinder [...] vergiftet, nasse Wände, gebrochene Fenster, durch die der Wind hereinpfeift [...] elende, zerbrochene Möbel, ein Tisch, ein paar Stühle, ein, höchstens zwei Betten, das ist der Palast des braven Mannes.[...] Zusammengepfercht mit Weib, Kind, häufig auch mit Bettgehern, kann er sich kaum bewegen, wohin er sein Auge wendet, leuchtet ihm das Bild seines Elends entgegen.[81]
Die sozialen Verhältnisse der Arbeiter Wiens also waren derer Berlins ähnlich. Ein
deutlicher Unterschied besteht jedoch darin, daß es kein Gegenstück zum
"Hedemannschen Handwerkerverein", der Berliner "Keimzelle der
Arbeiterbewegung", gab, jedenfalls nicht im Vormärz.[82] Vereinzelte Versuche einer Arbeiterorganisation in Vereinen wurden,
auch wenn sie nur der (unpolitischen) Bildung dienen sollten, von der Obrigkeit bereits im
Keim erstickt.[83]
Ob die Mentalität der Arbeiter im Vormärz ähnlich monarchenfreundlich wie in Berlin
war, läßt sich aus der vorhandenen Literatur nicht belegen. Es gibt jedoch Anzeichen
dafür, daß Kaiser Ferdinand I., anders als einige seiner Vorgänger, bei den Arbeitern
weit weniger wohlgelitten war als der preußische König Friedrich Wilhelm IV.[84]
Anders als in Berlin, wo die Haltung des Bürgertums gegenüber der "Kultur der
Armut" von einer Mischung aus geheimer Faszination und offenem Ekel geprägt war,
herrschte in Wien eine gewisse Tendenz zur "Harmonisierung" vor, die wohl auch
die Darstellungen ausländischer Beobachter beeinflußte: trotz der oben beschriebenen
sozialen Probleme erscheint Wien oft als "Musterbeispiel einer statischen,
selbstzufriedenen Gesellschaft", als "Insel der Ruhe inmitten stürmischer
Veränderungen" (Häusler).[85] In Wien
befand sich der Großteil des Elends vor den Toren der Stadt und war sowohl dem
kaiserlichem Hof als auch Bürgern nicht direkt vor Augen. Man wähnte sich, geschützt
durch Mauern und Wälle, in Sicherheit vor dem "Pöbel".
Die Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität zählte 1848 rund 1400
Studenten. Davon waren 25% an der philosophischen, 20% an der medizinischen, 40% an der
juristischen und 15% an der theologischen Fakultät immatrikuliert.[86]
Folgt man Friedrich Engels, hatte die Humboldtsche Bildungsreform und die damit verbundene
"Denk- und Lehrfreiheit" die Universität geprägt: 1842 schrieb der damalige
Zeitungsvolontär lobend, daß "[...] keine so sehr wie sie in der Gedankenbewegung
der Zeit steht und sich so zur Arena der geistigen Kämpfe gemacht hat."[87] Auf ein von demokratischen oder auch nur
liberalen Gedanken durchdrungenes Lehrangebot darf daraus jedoch nicht geschlossen werden.
Viele der Professoren waren ausgeprägt konservativer Gesinnung.[88] Neues Gedankengut infiltrierte die Lehrpläne der Universität eher
durch den akademischen Nachwuchs, besonders die Privatdozenten.[89]
Als Beispiel sei der Privatdozent Dr. Karl Nauwerck genannt, zuständig für die
Geschichte der Philosophie sowie arabische Sprache. In seiner Vorlesung über "Die
wichtigsten Systeme der politischen Staatslehre" im Wintersemester 1843/44 forderte
er von den Studenten, "Sprecher und Sachwalter des Volkes" zu sein und den
Beamtendienst abzulehnen. Am 1. März 1844 ließ Kultusminister Eichhorn die stets
überaus gut besuchte Veranstaltung verbieten. Nauwerck, der sein Lehrangebot nicht
ändern wollte, verzichtete als Konsequenz daraus auf seinen Lehrstuhl.[90]
Obgleich auch von anderen, ähnlich gesinnten Privatdozenten berichtet wird und vereinzelt
auch Mitglieder der Professorenschaft durch kritische Äußerungen hervortraten,[91] zeigte die rigide Haltung des Kultusministeriums
besonders ab 1843 Wirkung. Staatskritisches verschwand weitgehend vom Lehrplan.[92] Nur ein Jahr nach Engels gelangt ein
Zeitgenosse, vielleicht nicht ganz zufällig, zu einer gänzlich anderen Einschätzung:
die Berliner Universität sei "ein Treibhaus für gehorsame Staatsprinzipien [...],
eine Pflanzschule für schweigenden Glauben an die Autorität der Politik und
Religion."[93]
Die Wiener Universität war bedeutend größer und älter als die
Berlins.[94] Sie zählte im Wintersemester 1847/48
insgesamt 3274 Studenten. Sie gliederte sich gleichfalls in eine "juridische",
medizinische, philosophische und theologische Fakultät. Fast die Hälfte der Studenten
(1462) gehörte der juridischen Fakultät an und hoffte auf eine spätere Versorgung im
Staatsdienst.[95] Das Fehlen einer Phase
wissenschaftlicher Reform Humboldtschen Zuschnitts, vielleicht auch das größere Alter
der Universität,[96] schlugen sich in einem zum
Teil erheblich veralteten Lehrangebot nieder, das offenbar um Längen konservativer war
als das in Berlin selbst nach Einführung der Eichhornschen Kontrollen:
Die Professoren mußten ihre Vorträge nach Schulbüchern errichten, die vor 30, ja 40 Jahren, vielleicht noch darüber, von der Regierung vorgeschrieben worden waren. Die Studenten behandelte man wie kleine Schulbuben.[...]Von Kant, Fichte, Hegel wußten sie nur, daß sie Philosophen gewesen, aber von ihren Systemen kein Sterbenswörtchen.[...]Die ganze Erziehung, das ganze Studienwesen war nur darauf berechnet, gehorsame, katzenbuckelnde, schweigsame Untertanen und Beamtenschreibmaschinen zu erhalten.[97]
Gelegentlich gab es dennoch kritische Töne. So wurden in den Vorlesungen der Professoren
Joseph Kudler[98] und Anton Joseph Hye[99] Staatsreformen gefordert und indirekt auf das
Recht des Volkes auf Pressefreiheit verwiesen.[100]
Sie waren bei den Studenten äußerst beliebt, was deren Sehnsucht nach Veränderungen
verdeutlicht.
Bei den Berliner Studenten handelte es sich um junge Männer aus den
bürgerlichen Ober- und Mittelschichten, vereinzelt auch dem Adel. In der Mehrheit
strebten sie eine spätere Tätigkeit im preußischen Staatsdienst an. Die Zusammensetzung
der Studentenschaft ist das Ergebnis eines letztlich primär auf finanziellen Kriterien
beruhenden Selektionsprozesses: für ein Hochschulstudium war damals wie heute das Abitur
Voraussetzung. Das hohe Schulgeld schon an Gymnasien schloß von vornherein aus, daß
Mitglieder der finanzschwachen Unterschichten sich an die Hochschulen ,mogelten`. Für die
Gewährung von Stipendien findet sich, anders als in Wien, weder in Fachliteratur noch
Quellen ein Nachweis.[101]
Ebenso unklar bleibt die wirtschaftliche Situation der Studenten. Berichte ähnlich den
nachfolgend unter 4.2.2.2 angeführten aus Wien zur Studentenarmut scheinen nicht zu
existieren - möglicherweise infolge der im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung äußerst
geringen Zahl der Studenten; vielleicht aber auch schlicht deshalb, weil ihre
wirtschaftliche Lage keiner besonderen Erwähnung für notwendig erachtet wurde. Durch die
erwähnte Präselektion konnte ohnedies nur der Nachwuchs von Familien, die sich dies auch
leisten konnten, die Universität besuchen. Daß die Studenten von den hohen Preisen Ende
der 1840er Jahre und der Wirtschaftskrise, die auch die bürgerlichen Schichten betraf,
nicht unberührt bleiben konnten, versteht sich von selbst - ins Elend gestürzt wurden
sie von den herrschenden Verhältnissen jedoch nicht.
Das Interesse vieler Studierenden richtete sich auf neue Staatsgedanken (stark beeinflußt
durch linke, "junghegelianische" Ideen) und eine nationale Einigung
Deutschlands.[102] Erschwert wurde die
Diskussion und Verbreitung neuer politischer Ideen jedoch durch die bereits unter 4.2.1.1
angedeutete rigide staatliche Kontrolle. Die Bemühungen des Kultusministeriums, durch
Verbote und Polizeispitzel eine Politisierung der Studentenschaft zu verhindern,
beschreibt der liberal gesinnte Beamte Varnhagen von Ense im Dezember 1843 in seinem
Tagebuch:
Der Minister des Innern, verbunden mit dem des Kultus, führt einen wahren Krieg gegen die Studenten, die ihrerseits die Sache lustig nehmen. Wenn sie in ihren Kneipen - sie kommen zu zwei- bis dreihundert zusammen - sich von Polizeispähern belauscht wissen, so lassen sie den Polizeipräsidenten von Puttkamer hochleben, die gesamte Polizei, die Pedelle, unter dem größten Gelächter! Dieser Studentenkrieg hat aber eine sehr ernste Seite; er zeigt die ganze erbärmliche Haltung der Behörde.[103]
Burschenschaften als Form der studentischen Organisation waren verboten.[104] Andere Organisationsbemühungen scheiterten: Als 1843 z.B. 400
Studenten die Gründung eines Lesevereins planten, wurde dieser nach kurzem Zögern trotz
der befürwortenden Haltung der Universitätsleitung vom damaligen Kultusminister von
Eichhorn nicht genehmigt. In ihren Organisationsbemühungen wichen die Studenten in der
Folge auf die Bildung informeller, privater Lesezirkel aus, wurden Mitglieder in den
unpolitischen bürgerlichen Vereinen oder Lesezirkeln - oder verzichteten auf ein
politisches Engagement.[105] Schließlich konnte
dies ernste Folgen haben: 1844 beispielsweise wurden die entschiedensten Anhänger der von
"radikalen und junghegelianischen Tendenzen" (Obermann) geprägten
"Progreßbewegung" wegen verbotener Versammlungen der Universität verwiesen.[106]
Mit der Gründung der "Berliner Zeitungshalle" des linksliberalen Verlegers
Gustav Julius fand sich dann doch ein, wenn auch informeller, öffentlicher Treffpunkt.
Die dort vorhandenen 500 Tages- und Wochenblätter, darunter alle wichtigen Zeitungen des
außerpreußischen Deutschland, unterlagen vielfach nicht der örtlichen Pressezensur und
brachten neue Perspektiven, die vom Publikum der Zeitungshalle (Studenten, Lehrer,
Literaten, andere Angehörige des Kleinbürgertums gemäß 2.1 dieser Arbeit)
selbstverständlich auch diskutiert wurden. Aufgrund der hohen Gebühren für den Besuch
dieser und ähnlicher Einrichtungen blieb übrigens ausgeschlossen, daß sich in der
Juliusschen oder anderen Zeitungshallen auch Arbeiter und Gesellen in die Diskussion
mischten.[107] Hier wie sonst auch blieben sich
Studenten und Arbeiter Berlins weitgehend fremd, die Ansichten und das Wissen vieler
Studenten über die Arbeiter dürften weitgehend den oben angeführten, von Abgrenzung und
sogar Ängsten geprägten, Vorstellungen des Bürgertums entsprochen haben.
Eine Betrachtung des Wiener Studenten schlechthin ist schwer
möglich: Je nach sozialem Hintergrund gestaltete sich die Situation der Studenten höchst
individuell. Im Vergleich zu Berlin fällt jedoch eindeutig auf, daß der Anteil der
Studenten, die aus ärmlichen Verhältnissen stammten, höher war. Söhne von Handwerkern
und Gesellen, Bauern, ja selbst Tagelöhnern und Arbeitern waren in der Studentenschaft
anzutreffen.[108]
Hierfür sind mehrere Ursachen zu nennen: Zum einen war das zu zahlende Studiengeld
relativ niedrig.[109] Zum anderen gab es eine
Vielzahl an Stipendien sowie als Versorgungsgrundlage die sogenannte
"Klostersuppe", die kostenlos an bedürftige Studenten in den Klöstern Wiens
ausgegeben wurde. Trotz all dieser Maßnahmen wurden viele dieser Studenten durch ihre
"drückende Armut" daran gehindert, Vorlesungen zu besuchen, weil sie selbst
Unterricht erteilen mußten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.[110] Die allgemeinen Lebensumstände eines Teils der Studenten müssen
erbärmlich gewesen sein. Anton Füster,[111]
Zeitzeuge und in enger Verbindung zu den Studenten während der Revolution stehend,
schrieb über diese Umstände kurz vor Ausbruch der Revolution:
Ich habe zwar oft von der Armuth gehört, die unter den Studenten herrschte, hätte sie mir aber nie so gross vorstellen können. Es übersteigt diese Armut jeden Begriff; nur die hoffnungsvolle Jugend, die in sich eine unversiegbare Quelle des Muthes hat, kann sie ertragen. Nicht wenige Studenten gab es, welche wochenlang keine warme Speise genossen, deren einzige Nahrung Brot und Wasser war. Die armen Menschen verdarben sich ohne Verschulden die Gesundheit für ihre ganze Lebenszeit. Von anderen Entbehrungen in Kleidung, Wäsche und dergleichen nicht zu sprechen, erwähnen wir der Wohnung vieler armer Studenten: finstere, im Winter nicht geheizte Kellerlöcher, alles eher als Menschenwohnungen zu nennen, waren ihre Behausungen. Wenn die Collegien und öffentliche Bibliotheken ihnen nicht ein Asyl gewährten, würden sie im Winter vor Kälte zugrunde gehen müssen. Wir kannten einen Studenten, der gar kein Quartier hatte, sondern im Winter in den Heuschobern, Wagenremisen und Scheunen weit ausser der Stadt wohnte, und im Sommer, wenn es nicht regnete, unter freiem Himmel schlief. Wer all dieses Elend angesehen, hätte blutige Thränen über die namenlose Armuth vieler Studenten weinen müssen.[112]
Die Zukunftsaussichten gerade der Studenten, die auf eine Beschäftigung im Staatsdienst
hofften, waren nicht gerade rosig. Nach Abschluß des Studiums kamen sie als Praktikanten
an Arbeitsplätze, die von langweiliger Tätigkeit und schlechter Bezahlung geprägt
waren. Der Einstieg in die feste Beamtenhierarchie war nicht gesichert.[113]
Nach Schilderung dieser Umstände wird verständlich, warum viele Wiener Studenten
Sympathie für die Arbeiter bekundeten: Sie waren schlicht in einer ähnlichen sozialen
Lage wie sie.
"Die Barrikadenkämpfe vom 22. bis 24. Februar 1848 in Paris
bedeuteten auch für die deutschen Verhältnisse den noch fehlenden Anstoß. Die Nachricht
von der Abdankung des ,Bürgerkönigs` [Louis Philippe] und generell die Worte ,Revolution
in Paris` wirkten wie ein Fanal und löste in Deutschland eine Kette revolutionärer
Ereignisse aus. [...]"[114] Die wohl
direkteste Konsequenz daraus für die deutschen Staaten war die unter Führung Gustav v.
Struves abgefaßte Petition der Mannheimer Volksversammlung vom 27. Februar, Grundlage und
Muster des als "Märzforderungen" bekannten, auch in Berlin in unzähligen
Adressen und Petitionen mehr oder weniger variierten Forderungskataloges: "1.
Volksbewaffnung mit freien Wahlen der Offiziere, 2. Unbedingte Preßfreiheit, 3.
Schwurgerichte nach dem Vorbild Englands, 4. Sofortige Herstellung eines deutschen
Parlaments."[115]
Symptomatisch ist, daß diese Forderungen nicht etwa von einer preußischen Stadt
ausgingen: "Von Baden ausgehend, breitete sich die Revolution zunächst nach Norden
und Osten aus und erfaßte alle deutschen Mittel- und Kleinstaaten, das sog. ,Dritte
Deutschland`. Erst dann vermochte sie sich in Wien und Berlin durchzusetzen[...]."
Als erste ,vor-revolutionäre` Aktion in Preußen kann wohl die Kölner Volksversammlung
vom 3. März gewertet werden, in der, um einige soziale Komponenten wie die staatliche
Existenzsicherung und staatlich finanzierte Erziehung der Kinder erweitert, die
Märzforderungen übernommen wurden.[116]
"Hinsichtlich ihrer politischen Wirkung [...] kaum zu überschätzen"
(Hachtmann) waren für Berlin dann die ersten drei Versammlungen im Lokal "Unter den
Zelten" im Tiergarten am 6., 7. und 9. März. Deren erste, schwach besucht noch, war
hauptsächlich von Studenten der Friedrich-Wilhelm-Universität sowie Schülern der
Gewerbe- und Kunstakademie initiiert worden, um "zu überlegen, wie sie ihren
Wünschen nach demokratischen Freiheiten wirkungsvoll Ausdruck verleihen könnten." [117] Schon zur zweiten
am folgenden Tag erschienen mehr als 600 "Studenten, Literaten, Handlungsdiener,
Handwerker und Arbeiter"; eine heterogene Mischung, die sich alles andere als einig
war, in der aber das liberale Bildungsbürgertum tonangebend wirkte.[118] Diskutiert wurde unter anderem eine vorher abgefaßte
"Adresse der Jugend" an den König.[119]
Der 9. März brachte dann, ausgehend von der dritten dieser Versammlungen, die erste
größere Demonstration. Angesichts der wachsenden Unruhe im Volk wurde die Mobilisierung
des Heeres vorangetrieben.[120] In einer
Kabinetts-Order wurde die Pressefreiheit in Aussicht gestellt; zusätzlich berief
Friedrich Wilhelm IV. den Vereinigten Landtag ohne Nennung eines konkreten Programms für
den 27. April ein.
Befriedigt waren durch diese kleinen Zugeständnisse weder kritisch-liberale Teile des
Bürgertums noch die Unterschichten, zumal die Truppenmobilisierung fortgesetzt wurde. Am
13. März kam es dann zur ersten "entscheidenden Zuspitzung": Die Kavallerie
marschierte auf, Kanonen und Soldaten wurden an "strategisch wichtigen Punkten"
positioniert.[121] Als am Tiergarten ein Heer
auf eine Volksversammlung stieß und sie gewaltsam auseinandertrieb (die ersten
Verwundeten der Berliner Märzrevolution), erzeugte dies verständlicherweise Frustration
über die harsche Vorgehensweise, Haß gegen das Militär und eine erste Radikalisierung
der ursprünglich völlig gewaltfreien Demonstrationen.[122]
In der Folge, vom 13. bis 17. März, kam es zu einer Eskalation der Gewalt. Die Truppen
begannen, scharf zu schießen, erste Todesopfer waren zu beklagen. In diese Zeit fiel die
Nachricht vom Sturz Metternichs in Wien, die als zweite ,Initialzündung der Revolution`
gewertet werden kann.[123] Offenbar nahm
Friedrich Wilhelm IV. die Neuigkeiten als Beweis für den Ernst der Lage und erwog, gegen
den Rat der "Falken am Hof" (Wollstein), Zugeständnisse an die Opposition.[124]
Am Vormittag des 18. März wurden diese Zugeständnisse dann öffentlich gemacht: eine
umgehende, fast vollständige Pressefreiheit, und eine Vorverlegung des Vereinigten
Landtags zum 2. April. Die Märzforderungen waren damit freilich nur unvollkommen
erfüllt, zudem wurde die Pressefreiheit dadurch eingeschränkt, daß neue Publikationen
nicht ohne Hinterlegung einer beträchtlichen Kaution erscheinen durften. Dennoch löste
die Bekanntmachung zumindest in weiten Teilen des Bürgertums Jubel aus; man versammelte
sich vor dem Schloß, sei es, um zu danken oder um Gewißheit über den wahren Umfang der
Zugeständnisse zu erlangen. Die einzige konkrete Forderung, die dabei laut wurde, war die
nach dem Rückzug des Militärs, der zumindest von bürgerlicher Seite gleichzeitig als
Ruf nach einer Ersetzung desselben durch eine Bürgerwehr verstanden werden durfte.[125]
Die Forderung löste Unruhe am Hof aus; angeblich war dem König, möglicherweise nicht
ganz unbeeinflußt von seinen Beratern,[126] ein
bedingungsloser, "unehrenhafter" Abzug des Heeres nicht recht. Der Befehl zum
Auseinandertreiben der Massen wurde gegeben - und plötzlich fielen zwei Schüsse, die in
der Geschichtsschreibung Anlaß zu verschiedensten, farbigen Schilderungen gaben. Verletzt
wurde durch sie niemand, und es wird wohl für immer unklar bleiben, ob sie versehentlich
(wie durch den Prinzen von Preußen behauptet) oder absichtlich abgegeben wurden.
Entscheidend aber war die resultierende Empörung von Bürgertum wie Unterschicht. Durch
vorangegangene Militärübergriffe (z.B. am 13. März) ohnehin mißtrauisch geworden, nahm
man die Schüsse als offene Kampfansage ans friedliche Volk, als "Verrath".[127] Es entbrannte ein "oft
heroisierter" (Wollstein), grausamer Barrikadenkampf, vorwiegend in den
,bürgerlichen Gegenden` [128]
und bis in den frühen Morgen andauernd, bei dem es keinen eindeutigen Sieger, wohl aber
über 200 Tote gab.[129]
Die Reaktion des Königs am folgenden Tage war die Plakatierung des berühmt gewordene
Aufrufs "An meine lieben Berliner", in dem die Kämpfe als "unseliger
Irrtum" bezeichnet und der Truppenrückzug in Aussicht gestellt wurden.[130] Tatsächlich erfolgte dieser Abzug am
gleichen Tage, ebenso die Abreise des verhaßten Prinzen Wilhelms nach England.[131] Die Gefallenen der Barrikadenkämpfe wurden
auf den Schloßplatz getragen, der König verneigte sich baren Hauptes (was, je nach
Auffassung der Verfasser, in der Literatur als "tiefe Betroffenheit" oder
"Demütigung durch das Volk" interpretiert wird). Um erneute Kämpfe zu
verhindern, besonders auch aus Angst vor dem ,Pöbel`, verlangte das Bürgertum erneut
nach einer Bürgerwehr, die nun aufgestellt und bewaffnet wurde. Keinesfalls ist dies
jedoch als Gewährung der Märzforderungen nach einer "Volksbewaffnung" zu
verstehen.[132]
Als "Versuch, sich an die Spitze der Revolution zu stellen", aber auch als
"unglaublich und anmaßend" (Wollstein) ist der feierliche Umritt des Königs
durch Berlin am 21. März in den schwarz-rot-goldenen Farben in der Literatur gewertet
worden. Wahrscheinlich war er eher eine - in Bezug auf weite Teile des Bürgertums
durchaus erfolgreiche - Beschwichtigungsgeste; seine Proklamation "An mein Volk und
die deutsche Nation" vom gleichen Tage, war offenbar darauf kalkuliert, national
gesinnten Kreis des Bürgertums zu gewinnen. [133] Auf die sozialen Forderungen aus der Unterschicht wurde mit keinem
Wort eingegangen; der Jubel vieler Bürger und die gleichzeitige Unzufriedenheit vieler
Arbeiter machte deutlich, daß das Auseinanderdriften der kurzfristigen ,Einheitsfront`
der Barrikadenkämpfe längst begonnen hatte.[134]
Mit der Einberufung des Ministeriums Ludolf Camphausen am 29. März setzte der König
seinen Kurs der Annäherung an das Bürgertum fort.[135]
Als am 30. März schließlich die Rückkehr der Truppen nach Berlin einsetzte, wirkte dies
fast symbolisch. Aus "Angst vor Anarchie" (Wollstein) begrüßten viele Bürger
die Rückkehr. Andere befürchteten eine Rückkehr zum Status Quo Ante - nicht ganz zu
unrecht, wie die folgenden Monate zeigen sollten.[136]
Eine Besonderheit der Wiener Ereignisse liegt darin, daß hier, im
Gegensatz zu Berlin, zwei parallel ablaufende Entwicklungen zu beobachten sind: In der
Innenstadt verlief die Revolution in relativ geordneten Bahnen, dominiert von der
bürgerlichen Intelligenz und den Studenten. In den Vorstädten hingegen, wo sich der
Großteil der Fabrikanlagen befand und folglich auch die Fabrikarbeiter lebten, kam es zu
Plünderungen und Zerstörung von Maschinen. Der Kontrast zu Berlin, wo auch die
Kampfhandlungen besonders am 18. März vordringlich in ,bürgerlichen Gegenden`
stattfanden, ist deutlich.[137] Die Berliner
"Zeltenversammlungen", wo sich Anfang März (wenn auch mit zum Teil völlig
unterschiedlichen Vorstellungen) "Studenten, Literaten, Handlungsdiener, Handwerker
und Arbeiter" trafen, fanden kein Gegenstück.[138]
Zum Verlauf der Märzereignisse: Die Nachrichten von der Februarrevolution in Paris sowie
der dortigen Ausrufung der Republik am 29. Februar 1848 fanden auch in Wien starken
Widerhall. Besonders verhaßt war Bürgern wie auch Studenten das Metternichsche System
mit seiner innen- wie außenpolitischen Enge.
Es folgten Petitionen und Adressen an den Ständetag, die eine Liberalisierung der
Staatsverwaltung forderten. Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die
Petition des "politisch-juridischen Lesevereins",[139] verfaßt von dem Schriftsteller Eduard v. Bauernfeld und dem
Advokaten Alexander Bach. Sie griff die bereits erwähnten Märzforderungen auf und gab
den wohl entscheidenden Anstoß für den weiteren Verlauf.[140]
Am Vormittag des 13. März zogen Studenten, zusammen mit Bürgern und Arbeitern, von der
Universität aus in geschlossener Ordnung zum Landhaus in der innenstädtischen
Herrengasse, um die dort versammelten Stände bei ihrem Anliegen, den Kaiser in einer
Adresse um Reformen zu bitten, moralisch zu unterstützen.[141] Es wurde eine zunächst friedliche Kundgebung, eine "erste
Volksversammlung Wiens": "Eine Masse eleganter Frauen, ja selbst Kinder waren
unter den Anwesenden [...]. Das ganze glich eher einer plötzlich improvisierten
Promenade."[142] Die ebenfalls
anwesenden Arbeiter und Gesellen aus den Vorstädten sollten sich im weiteren Verlauf der
Ereignisse als wichtige Stütze der Studenten während der Kampfhandlungen erweisen. [143]
Die "erste freie Rede Wiens" hielt Dr. Frischhof, praktizierender Arzt. In ihr
kam eine der Hauptforderungen der Studenten und des Bürgertums zum Ausdruck: Der Wunsch
nach einer freien, unzensierten Presse.[144] Auf
seine Rede folgte ein wildes Durcheinander verschiedener Zwischenrufe.[145] Den lautesten Widerhall fand die Forderung nach der Abdankung
Metternichs.[146] Es wurde die Rede des
magyarischen Volkstribuns Ludwig Kossuth vom 3. März vor dem ungarischen Landtag in
Preßburg zitiert, in der er sich gegen das Metternische System und für eine liberale
Zukunft aller Völker im Kaiserreich ausgesprochen hatte.[147]
Währenddessen hatten sich in der ganzen Stadt Menschenansammlungen gebildet, innerhalb
weniger Stunden war das gesamte in Wien stationierte Militär ausgerückt. In der Aula der
Universität, die sich später zum geistigen Zentrum der Revolution entwickeln sollte,
sammelten sich Tausende von Studenten. Es wurde eine Deputation gewählt, die die
Verhandlungen mit den Politikern im Landhaus führen sollte, jedoch dort zunächst nicht
vorgelassen wurde. Zu den geplanten Verhandlungen kam es dann nicht mehr: Die wartende
Menge stürmte den Sitzungssaal des Landhauses, die tagenden Stände mußten den Saal
verlassen und zogen um die Mittagsstunde zur Hofburg.
Um zwei Uhr nachmittags wurde das erste Mal auf Demonstranten geschossen, wobei die ersten
fünf Todesopfer der Revolution zu beklagen waren. Nun schloß sich auch das Bürgertum,
bisher eher Zuschauer der Ereignisse, den Revolutionären an. Die Bürgergarde, eine eher
repräsentative als militärische Einheit der Bürger aus der Zeit des Vormärz, weigerte
sich, nachdem sie vor dem Polizeigebäude beschossen worden war, weiter gegen das Volk
vorzugehen.
Parallel zu diesen Ereignissen kam es in den Wiener Vorstädten zu Aufständen der dort
lebenden Fabrikarbeiter.[148] In den
Abendstunden eskalierten die Verhältnisse dort derart, daß man sich am kaiserlichen Hof
zum Handeln gezwungen sah und die "Wiener Zeitung" am Abend des 13. März
schließlich in lakonischer Kürze bemerkte, daß "der Geheime Haus-, Hof- und
Staatskanzler Fürst von Metternich seine Stelle in die Hände Sr. Majestät des Kaisers
niedergelegt [hat]."[149] Damit war eine
der Hauptforderungen der Studenten und Bürger erfüllt.
Die Staatskonferenz (eine Versammlung sämtlicher Leiter der obersten Hofbehörden,
ergänzt um die Erzherzöge) stimmte für die Bildung einer studentischen Legion und einer
allgemeinen Bürgerwehr (Nationalgarde) zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung. Es
erfolgte noch in derselben Nacht die Bewaffnung von Bürgern und Studenten aus dem
Waffenarsenal des bürgerlichen Zeughauses.[150]
Am 14. März war die Lage nach wie vor prekär. Die erreichten Zugeständnisse, Abdankung
Metternichs[151] und Bewaffnung von Bürgern und
Studenten, galten als noch nicht gesichert. Aus der Hofburg kamen Meldungen, die die
schwankende Haltung der Machthaber unterstrichen. So war Fürst Windischgrätz, ein
überzeugter Gegner der Revolution, noch in der Nacht vom 13. auf den 14. März mit der
Vollmacht zur Niederwerfung der Revolution ausgestattet worden. In den frühen
Morgenstunden des 14. März wurde ein Plakat angeschlagen, welches nicht nur die neuen
Vollmachten Windischgrätz´, sondern auch die Verhängung des Ausnahmezustandes über die
Stadt verkündete. Windischgrätz sei "mit vollständiger Vollmacht ausgerüstet,
Ruhe und Ordnung in der in Belagerungszustand erklärten Residenz herzustellen und
aufrecht zu erhalten."[152]
Als man sich aber der Sprengkraft dieser Worte bewußt wurde, entfernte man die Plakate
wieder. Die faktischen Vollmachten blieben jedoch erhalten, was in anschließenden
Plakaten am 14. und 15. März auch zum Ausdruck gebracht wurde.[153] Nicht nur die in der Vorstadt, sondern auch die in der Innenstadt
anwesenden Arbeiter waren in Aufruhr. Ihr Ruf nach Waffen wurde immer lauter. So herrschte
vor dem Zeughaus bereits am Vormittag großes Gedränge. Es gelang den Arbeitern um vier
Uhr nachmittags, in das Zeughaus einzudringen und sich mit Waffen auszurüsten. Ebenfalls
am Nachmittag erfolgte die förmliche Genehmigung der Nationalgarde und der studentischen
Legion durch den kaiserlichen Hof. Auf der Grundlage von "Besitz und Bildung",
also unter Ausschluß der Arbeiter, sollte diese Körperschaft "Ruhe und Ordnung
wiederherstellen." Damit wurde lediglich eine bereits bestehende Reform bestätigt.
Aber die Hauptforderung nach einer Verfassung war noch nicht erfüllt worden.
Am 15. März kam es schließlich nach erneuten Demonstrationen zur Verkündung eines
kaiserlichen Manifestes, das "Preßfreiheit", abermals die Nationalgarde sowie
die "Einberufung der Abgeordneten aller Provinzial-Stände und der
Central-Congretation des lombardisch-venetianischen Königreiches in der möglichst
kürzesten Frist mit verstärkter Vertretung des Bürgerstandes [...] zum Behufe der von
Uns beschlossenen Constitution des Vaterlandes" zusicherte.[154]
Damit schienen die Hauptforderungen der bürgerlich-studentischen Revolutionäre erfüllt
und ein vollkommener Sieg errungen zu sein. Dem Passus "in der möglichst kürzesten
Frist", in dem die geplante Verzögerungstaktik zum Ausdruck kam, wurde noch keine
größere Bedeutung beigemessen. An eine Verbesserung der Lage dachte der Kaiser, wie
Friedrich Wilhelm IV. in Preußen, nicht.
Obwohl die erste der einflußreichen Versammlungen "Unter den
Zelten" zu Beginn der Märzereignisse maßgeblich von studentischer Seite ins Leben
gerufen wurde, kann die Studentenschaft in ihrer Mehrheit keinesfalls als
"revolutionäre Triebkraft" bezeichnet werden: "Das Verhalten der
Majorität von Dozenten und Studenten der Berliner Universität gibt spiegelbildlich
Situation und Reaktion des Berliner Bürgers in den Märzereignissen wieder."[155] Annäherungen an oder gar Verbrüderungen mit
der Arbeiterschaft fanden nur vereinzelt statt. Zum einen mag dies eine Folge der
bürgerlichen Herkunft der Studentenschaft sein, die sicher eine gewisse Fremdheit
gegenüber den Unterschichten, teilweise auch ihre offene Ablehnung, zur Folge hatte. Zum
anderen können die unter 4.2.1.1 angeführten staatlichen Kontrollen als erfolgreich
angesehen werden - neue Ideen verbreiteten sich langsamer, so auch frühsozialistische
oder radikaldemokratische Überzeugungen.[156]
Spezifisch studentische Forderungen in der Märzrevolution gab es durchaus: So forderte
ein Anschlag im Hauptgebäude am 9. März den Sturz des ungeliebten Kultusministers
Eichhorn, Lehr- und Lernfreiheit, Wegfall der Studien- und Promotionsgebühren sowie
"freie Erziehung". Die Unterstützung für diese Ideen war vermutlich sehr viel
breiter als die weitergehender, politischer Forderungen.
Schon frühzeitig, etwa in einer Aulaversammlung am 11. März, wurde eine Spaltung der
Studentenschaft in zwei Flügel deutlich: einem zahlenmäßig größeren, gemäßigt
liberalen (an seiner Spitze der Jurastudent Ludwig Karl James von Ägidi), sowie eines
kleineren, radikaldemokratischen, der trotz seiner geringen Zahl mit Redebeiträgen in
Studentenversammlungen regelmäßig in Erscheinung trat, ohne die gemäßigteren
Kommilitonen freilich von den eigenen Ansichten überzeugen zu können.[157] Die Zahl der Sympathisanten dieser studentischen Linken (als deren
Anführer Paul Boerner - wie Ägidi damals Jurastudent -, der - in Berlin freilich noch
nicht immatrikulierte - Philosophiestudent Gustav Adolf Schlöffel aus Heidelberg sowie
der Schweizer Johann Georg von Salis-Seewis galten) betrug ca. 120.[158]
Es darf als symptomatisch gelten, wenn der Oberbefehlshaber der in Berlin stationierten
Truppen zu Zeiten der Märzereignisse, Karl-Ludwig von Prittwitz, in seiner Beschreibung
das ordentliche Verhalten der Studenten am 16. März lobt:
Mittags, gleich nach 12 Uhr, [...] zogen 200 bis 300 Studenten, in völlig geordnetem Zuge, zu zwei und zwei gehend und ganz still, von dem Gebäude der Universität nach dem der Kommandantur. [...] Die Studenten stellten sich vor der Kommandantur auf und sandten eine Deputation an den General von Ditfurth mit der Bitte, sich zu einem bewaffneten akademischen Korps formieren und zur Aufrechterhaltung der Ordnung und Ruhe mitwirken zu dürfen. Der General lehnte diesen Antrag ab, worauf sich die Studenten in derselben Ordnung nach dem Universitäts-Gebäude zurückbegaben.[159]
Die Idee hinter diesem bewaffneten "akademischen Korps" war keinesfalls, dies
zeigt deutlich das Ersuchen einer offiziellen Genehmigung dafür, die des bewaffneten
revolutionären Kampfes. Vielmehr sollten so die Bürger einerseits vor möglichen
Übergriffen des Militärs (wie am 13. März geschehen), andererseits (und vordringlich)
aber vor Tumulten von Arbeiterseite beschützt werden. Nur durch "Aufrechterhaltung
von Ruhe und Ordnung in der Hauptstadt", so beschloß eine Mehrheit der Studenten am
17. März auf einer Aulaversammlung, seien die gewünschten Reformen zu realisieren.
Dieser Grundgedanke prägte auch die Bildung der Studentencorps im Zuge der
Bürgerbewaffnung am 19. März, einen Tag nach den blutigen Barrikadenkämpfen.
Ca. 300 Studenten schlossen sich dieser "lockeren und uneinheitlichen
Organisation" (Obermann) an, aufgeteilt in drei Riegen zu ca. 100 Mann, die
ihrerseits in 20-30 Studenten starke "Rotten" gegliedert waren. Diese Rotten
unterschieden sich stark voneinander: so gab es eine konservative
"Wingolf-Rotte" ebenso wie eine radikaldemokratische unter Anführung des
Studenten Monecke, die geschlossen mit Heckerhut auftrat und, folgt man Paul Boerner, wie
andere Mitglieder der "Riege Salis-Seewis" die Bildung eines "Gegengewichts
zur waffengeübten Bourgeoisie" im Sinne hatte, freilich ohne großen Erfolg.[160]
Die Mehrheit der Studenten blieb staatstragender Gesinnung, möglicherweise auch durch den
Annäherungskurs der Regierung, der sich am 20. März in Gestalt eines Besuches des neuen
(am 18. März eingesetzten) Kultusministers Graf von Schwerin nebst Polizeipräsident
Minutoli in der Universitäts-Aula zeigte. "Eingeschüchtert durch die Revolution in
Wien, wo die Aula zum Zentrum der Bewegung wurde, bemühten sich König und Minister in
höchstem Maße um die Studenten, die als Adressaten einer Bitte der allerhöchsten
Autorität im Staate zweifellos ungeheuer geschmeichelt waren" [161] So nimmt es nicht Wunder, daß beim "Umritt" des Königs
am folgenden Tage in den schwarz-rot-goldenen Farben mit den Bürgern auch die Studenten
jubelten, Mitglieder der Studentencorps stellten sich als Wache für das Prinzenpalais zur
Verfügung.[162]
Wie aber äußerte sich die Spaltung der Studentenschaft in erwähnte Flügel während des
umkämpften 18. März? In einer Aulaversammlung vom Vormittag zunächst nicht; einhellig
begrüßte man den Sturz des Kultusministers Eichhorn. Nachdem die Nachricht von Schüssen
und Aufruhr aber die Versammlung erreichte, forderten die "Radikalen" zum Kampf
auf, eine Aufforderung, der freilich nur rund 100 Studenten, entsprechend ungefähr der
Stärke des linken Flügels nachkamen.[163]
Einige Studenten, so zitiert Wolff die Erinnerungen Ägidis, glaubten noch immer daran,
daß ein bewaffneter Kampf aufzuhalten sei und ähnelten in ihrem Verhalten jenen
Bürgern, die die aufgebrachten Massen angeblich mit einem Transparent, das alles sei ein
"Mißverständnis", zu beschwichtigen suchten:
Auch jetzt noch, so erzählt der mehrfach erwähnte Geschichtsschreiber der Aula, lebte in einer geringen Anzahl der Studenten ein Schimmer der Hoffnung. Sie waren sich nicht klar bewußt, was sie wollten; doch genug, es durfte nicht zum Kampfe kommen. [...] Die Studenten eilten noch einmal zu Minutoli [und] trugen ihm ihre Idee vor. Sich dem König zu Füßen zu werfen und um Entfernung der Truppen zu bitten. [...] Hr. v. Minutoli, ,der die Wichtigkeit der Universität für diesen Augenblick erkannte und übersah, daß, war die akademische Jugend zu gewinnen, das moralische Gewicht dem Aufstand fehlte, ja vielleicht der Aufstand gar nicht zum Ausbruch kam`, [...] Hr. v. Minutoli gab den Bitten nach. Er trat mit ihnen den ,denkwürdigen` Gang an.
Der Gang, so Wolff weiter, wurde nicht unbedingt zum Erfolg: es gibt widersprüchliche Darstellungen: Während laut Ägidi der Polizeipräsident das Vorzimmer des Königs erreichte und wohl auch mit ihm sprach, behauptet Braß, daß bewaffnete Bürger ihm den Zutritt zum Schloß verwehrten. Unbestritten, zumindest laut Wolff, ist eine Antwort des Königs an eine Delegation des akademischen Senates, die zum gleichen Zeitpunkt im Schloß weilte. In dieser Antwort sagte der König angeblich: "Die Studenten wären seine - des Königs - Freunde; das hätten sie in den letzten Tagen bewiesen."[164]
Das (sicher auch durch die revolutionsfreundlich gefärbte Darstellung Wolffs) fast etwas
"weltfremd" erscheinende Verhalten der oben erwähnten Studenten erinnert an die
"Kluft der Mehrheit der Studenten zum Volk", die Paul Boerner in seinen
Erinnerungen beschreibt: "Wir standen einmal ebenso wie unsere Kommilitonen auf dem
Isolierstuhl des abstrakten Studententums, wenn wir auch dafür begeistert waren, in ihm
dem Volk eine Stütze zu erwerben."[165] Am
18. März jedoch, so ebenfalls Boerner, handelten die "radikalen Studenten" fast
diametral unterschiedlich zu ihren gemäßigten Kommilitonen. Während jene den König
aufzusuchen gedachten, eilten diese vors Oranienburger Tor, zu den Maschinenbauarbeitern
der Borsig-Werke:
Als Salis mit anderen Studenten zu ihnen herauskam und erzählte, wie man drinnen in der Stadt das Volk verrate und wie man dort schon in allen Straßen Barrikaden baute, hörten sie [die Arbeiter] ihn ruhig an und fragten nur, ob die Geschichte denn jetzt auch wirklich ,ordentlich` wäre. Daß sie, als ihnen das bejaht und bewiesen wurde, sich beteiligen müßten, verstand sich wie von selbst. Sie arbeiteten indessen noch ein Stück kaltblütig weiter, ließen sich ebenso besonnen ihren Wochenlohn auszahlen [der 18.3. war ein Sonnabend, sagt Obermann] [...] und dann waren sie endlich bereit.[166]
Noch radikaler gab sich in der Folge Gustav Adolph Schlöffel, der eine Annäherung an die
im Bürgertum besonders gefürchteten "Rehberger" versuchte und sein
republikanisch bis frühsozialistisch ausgerichtetes, freilich nur in sechs Ausgaben
erschienenes, Blatt "der Volksfreund" (dessen Erscheinen bald nach Schlöffels
Verhaftung und Verurteilung Ende April/Anfang Mai eingestellt werden mußte) sogar
kostenlos an diese verteilte, um sie politisch zu bilden.[167] Auch wenn diese und andere Agitationen recht
öffentlichkeitswirksam waren, die Radikaldemokraten also überproportional zu ihrer Zahl
öffentlich wahrgenommen wurden, verhielt sich die Mehrheit der Studenten ruhig. Als ein
weiterer Beleg dafür sei hier der Jahresbericht der philosophischen und theologischen
Fakultät zitiert:
Die Übungen des Seminars haben im Studienjahr 1847-1848 in derselben Weise wie früher stattgehabt, [besucht von] tüchtigen, fleißigen, talentvollen Männern, [...] die sich auch durch die den Studien höchst ungünstigen und unruhevollen Zeiten nicht haben abhalten lassen, an ihrer wissenschaftlichen Ausbildung zu arbeiten.[168]
Die Studenten Wiens waren mit den gegebenen Verhältnissen äußerst
unzufrieden und formulierten ihre bis dahin zumeist verbal vorgebrachten Forderungen in
einer "Adresse der Wiener Studentenschaft" vom 11. März verfaßt wurde.[169] In ihr wurden Preß- und Redefreiheit, Lehr-
und Lernfreiheit, Gleichstellung der Konfessionen und die Schaffung einer allgemeinen
Volksvertretung gefordert.[170]
In diesen Punkten stimmten die Studenten mit den Forderungen des Bürgertums überein. Sie
richteten sich nicht gegen den Kaiser selbst: Dieser erfreute sich bei ihnen, nicht
zuletzt wegen seines berühmten Satzes "Nein, ich lasse auf meine Wiener nicht
schießen!"[171] großer Beliebheit. Als
sich am 15. März eine Fahrt des Kaisers durch die Innenstadt ankündigte, "[zogen]
die bewaffneten Bürger, Nationalgarden und Studenten [...], ohne einen besonderen Befehl
abzuwarten, nach den Straßen [...] und bildeten [...] Spalier."[172]
Wie unter Punkt 4.2.2.2 bereits angedeutet, zeigte sich ein großer Unterschied zwischen
dem Verhalten der Studenten Wiens und Berlins in ihrer Behandlung der unteren
Bevölkerungsschichten. Viele Wiener Studenten (eine Mehrheit, verglichen mit der
radikaldemokratischen Minderheit Berlins) sahen in den Tumulten der Vorstädte keinesfalls
nur einen barbarischen "Pöbelaufstand". Sie zeigten Verständnis für die
Forderungen der Massen. Zu erklären ist dieses Verhalten vielleicht durch die ähnliche
soziale Lage, in der sich sowohl Arbeiter als auch große Teile der Studentenschaft
befanden.[173]
Auch waren sich viele Studenten der großen Macht bewußt, die den notleidenden Massen der
Vorstädte innewohnte. Schon vor Beginn der Märzunruhen hatten sie versucht, diese für
ihre Sache zu gewinnen. So ist auch zu erklären, daß trotz der Schließung der
Stadttore am 13. März um 13.30 Uhr ein Teil der Arbeiter aus den Vororten in die
Innenstadt gelangt war und der "Volksversammlung" vor dem Landhaus beiwohnte,
obwohl das Gros der Vorortbevölkerung erst nach 13.30 Uhr überhaupt von den Kämpfen in
der Innenstadt erfuhr: die "Eindringlinge" waren rechtzeitig von Studenten
informiert worden.[174]
In den Abendstunden des 13. März, nach Erstürmung des Landhauses, stimmte die
Staatskonferenz, eine Versammlung sämtlicher Leiter der obersten Hofbehörden, ergänzt
um die Erzherzöge, der Bewaffnung der Studenten und der Bildung einer allgemeinen
Bürgerwehr (Nationalgarde) zur Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung zu. Verstärkt
durch die Eindrücke aus den Vorstädten, sah man sich außerstande, den Volksaufstand
niederzuschlagen. Man hoffte am Hofe, daß durch die Bewaffnung von "Bildung und
Besitz" dies gelingen könnte.
Die studentische Legion bildete sich als Körperschaft kurz nach dieser
Studentenbewaffnung. Sie ist mit den in Berlin gebildeten Studentencorps kaum zu
vergleichen. Sie bestand aus ungefähr 5000 Mann und war aufgeteilt in einzelne Kompanien
von durchschnittlich 150-200 Mann, die den jeweiligen Fakultäten der Universität[175] sowie dem polytechnischen Institut und der
Akademie der bildenden Künste unterstellt waren.
Bemerkenswert ist das unterschiedliche Verhalten, das Nationalgarde und Studentenlegion
kurz nach ihrer Bildung zeigten. Der erste Tagesbefehl, der beiden neu gebildeten
Körperschaften gegeben wurde, lautete: "Kampf gegen das wilde, verbrecherische
Treiben eines verworfenen Proletariats, dem nichts heilig ist, das nur im Umstürze aller
sozialen Verhältnisse seinen Gewinn zu finden glaubt"[176] Die Ausführung des Befehls wurde von Studenten und Bürgern
höchst unterschiedlich gehandhabt: Die Studenten zogen in die Vorstädte und versuchten
dort, die Massen ohne die Anwendung von grober Gewalt zu Ruhe und Ordnung
zurückzuführen. Man verhielt sich den Arbeitern gegenüber eher passiv und versuchte
sogar, sich mit ihnen zu verbrüdern.
Wesentlich rabiater und brutaler verhielten sich die Bürger. Einige der Mitglieder der
Nationalgarde zeigten sich gar besonders eifrig und machten es zu einer Art
"Sport", Proletarier einzufangen. So heißt es in einem Polizeibericht, daß
"das exzentrische Hausvisitieren einiger junger Leute der Nationalgarde und die
unüberlegten vielen Arretierungen nicht selten ganz schuldloser Menschen, wobei oft
körperliche Mißhandlungen vorfallen, [...] bereits zum Ekel und im Volke nicht mehr
gebilligt [wird]."[177]
Als Hintergedanke des davon stark divergenten Verhaltens der Studentenlegion erscheint
Ernst Viktor Zenkers Vermutung, die Studenten hätten durch ihr Handeln gehofft, mit den
Arbeitern eine "Reserve der Freiheit" für die Zukunft zu gewinnen, nicht
abwegig.[178] Die Studenten Wiens waren sich,
anders die in Berlin, in ihrer Mehrheit der Macht der Arbeitermassen bewußt. Viele von
ihnen zogen sogar kurz vor Beginn der Märzunruhen in die Vorstädte, um die Arbeiter zu
einem Marsch in die Innenstadt zu bewegen. Ein Zeitzeuge berichtet hierüber:
Viele Studenten gingen schon am Nachmittage und spät abends in die Vorstädte und in die industriellen Vororte hinaus, um die Massen aufzuregen, sie in Fluß zu bringen, sie zu bewegen, am 13. März der Universitätsdemonstration ihren Beistand zu verleihen.[179]
Die Studenten Wiens empfanden keine Abscheu gegenüber dem "Pöbel", sie
versuchten vielmehr, ihn für ihre Sache zu gewinnen.[180]
Als "weitgehend ruhig und gesittet", Reformen eher von oben als von unten
erwartend, wie das ihrer Berliner Kommilitonen (die ja beispielsweise auch öfters mit
dem, nicht gegen den, dortigen Polizeipräsidenten von Minutoli berieten), läßt sich das
Verhalten der Wiener Studenten kaum bezeichnen. Nicht nur während der Märzereignisse,
sondern auch der weiteren Revolution von 1848 war der Universitätsbetrieb praktisch
lahmgelegt, da es an reformfreudigen Professoren oder wenigstens Privatdozenten mangelte.
"In diesem Mangel lag es auch, daß die Studierenden nach der Märzrevolution und
trotz bald darauf erlangter Lehr- und Lernfreiheit die Vorlesungen nur spärlich besuchten
und endlich ganz davon ausblieben"[181]
Eine Untersuchung der Trägerschaft der kämpferischen
Auseinandersetzungen im revolutionären März Berlins ergibt ein eindeutiges Bild: unter
den 303 im März Gefallenen befanden sich überwiegend Arbeiter, die Statistik erwähnt
115 Gesellen, 52 "Arbeitsleute und Proletarier" (d.h. Maschinenarbeiter,
Arbeitsmänner, Seidenwirker usw.) 13 Lehrlinge und 34 "Diener und
Kleinhändler" (letztere, d.h. die Kleinhändler, der oben angeführten
"Grauzone" zwischen Kleinbürgern und Unterschichten angehörig.)[182] Zum einen ist dies eine natürliche Folge der
Bevölkerungsstruktur, zum anderen sicherlich auch ein Resultat anderer Faktoren (so waren
Gesellen u.a. jünger, somit womöglich risikobereiter im Kampf als Meister; zudem waren
Arbeiter und gesellen im Gebrauch von Waffen - so sie denn überhaupt welche bekamen -
ungeübter als Angehörige des Bürgertums).[183]
Insofern schien die im Bürgertum verbreitete Angst vor einer Aufruhr gerade der Arbeiter
durchaus berechtigt, wie sie sich in Äußerungen wie der Prittwitz` über die
Unsicherheit der Bürger nach Eintreffen der Revolutionsnachrichten aus Paris sowie dem
deutschen Südwesten Ende Februar und Anfang März manifestierte:
[...] [A]m 28. Februar nachmittags wußte man bereits, daß die Republik proklamiert sei. Die Spannung, mit welcher die Nachrichten aufgenommen wurden, die Neugierde über die Einzelheiten des Umsturzes näher unterrichtet zu werden, war eine ganz ungemeine. [...] Die Stimmung wurde jetzt auch unheimlich, man fühlte sich unbehaglich in der eigenen Haut; die untersten Volksklassen nahmen eine in die Augen springende düstere Physiognomie an.[184]
Offenbar war die Erinnerung an die "Kartoffelrevolution" noch lebendig, man
befürchtete Plünderungen und Gewalt. Als neue Befürchtung des Bürgertums kam,
besonders nach den revolutionären Ereignissen in Paris, nun aber eine Angst vor
politischen Forderungen der Arbeiterschaft hinzu. Besonders deutlich tritt diese Furcht im
Leitartikel der "Vossischen Zeitung" vom 7. März zutage, in der der Redakteur
Ludwig Rellstab einen verzweifelten Versuch unternahm, die Arbeiter zu beschwichtigen:
Laßt Euch nicht täuschen! [...] Die erste Bedingung zur einträglichen Arbeit ist Ordnung, Ruhe, Friede! Wie hoch die Arbeit bezahlt werden kann, das hängt nicht von der Willkür ab. Die Mittel, durch künstlich, erzwungene Ankäufe dem Uebel zu steuern, sind schnell erschöpft, und dann ist die Noth verdoppelt. Darum: Laßt Euch nicht täuschen! Haben die Männer der Umwälzung in Paris das Geheimnis gefunden, das Glück der Arbeiter plötzlich, durch einen Zauberschlag zu begründen, dann wollen wir es ihnen auf`s schleunigste nachahmen. Aber vorher wartet das Ergebnis ab! Es ist ein Glück für uns, daß sie, nicht wir, den gefährlichen Versuch machen! Darum laßt Euch nicht täuschen! Die Noth, das Unglück schickt Gott! Er schickt sie nicht dem Arbeiter allein, er schickt sie uns allen. Und niemals haben die anderen Stände sich mehr damit beschäftigt, dem Arbeiter seinen Beruf zu erleichtern, als jetzt. Darum nochmals: Laßt euch nicht täuschen![185]
Der Artikel wurde von seinen Adressaten, obgleich unter diesen die Zeitungslektüre nicht
weit verbreitet war, durchaus wahrgenommen - sicher auch als Folge eines wachsenden
Interesses an politischen Zusammenhängen in einer Zeit des Umbruchs.[186] In seinen Memoiren gab Rellstab später an, daß sein Artikel
(trotz väterlich-wohlmeinender Absicht) auf wenig Gegenliebe seitens der Arbeiter stieß:
"Die heftigsten Briefe voller Vorwürfe und Drohungen gingen bei dem Verfasser, bei
der Redaction der Zeitung ein, ja es wurden einzelne erbitterte Demonstrationen
gemacht!"[187] Angesichts des sehr realen
Elends der Arbeiter und des relativ deutlich hervortretenden Unverständnisses der
Dimensionen desselben ("Die Not[...] schickt Gott! [...] Er schickt sie uns
allen!") mußten Rellstabs Beschwichtigungsversuche wie Hohn gewirkt haben.[188] Das Verlangen nach Veränderungen seitens der
Arbeiterschaft wird sehr deutlich in einem Artikel der "Mannheimer Abendzeitung"
(laut Wolff "dem radicalsten der damaligen Blätter") vom 10.März:
Die Stimmung im Volke ist eine dumpfe, Gewitterschwüle. Viele Arbeiter haben die Unterzeichnung der [Zelten-]Petition verweigert, weil sie von Petitioniren kein Heil sich erwarten. Die Arbeitslosigkeit ist im Wachsen [..] Wer die Stimmung des arbeitenden Volks, wer seine Gedanken, seine Pläne, seine Lage kennt, der weiß, daß ein Orkan im Anzuge ist, gegen den Frankreichs Sturm ein Hauch war. Es ist hohe, es ist die höchste Zeit, daß die Monarchie die Segel streicht und der Demokratie die Bahn eröffnet. Streicht sie die Segel, so wird sie ihr morsches Schiff noch einige Zeit flott halten. Wagt sie es fortzusteuern mit vollen Segeln, wie jetzt, so wird ihr Fahrzeug jählings vom Sturm erfaßt und zerschmettert werden.[189]
Mit ähnlicher Tendenz äußert sich Prittwitz:
[...] [E]inem längeren Bewohner von Berlin [wird] in jenen Tagen [ca. dem 9. Bis 12. März], selbst bei einer nur flüchtigen Aufmerksamkeit, die veränderte, herausfordernde, beinahe freche Haltung nicht entgangen sein, welche die unteren Schichten der Einwohnerschaft, namentlich aber die Gehilfen des Handwerkerstandes, nach und nach in immer steigendem Verhältnis annahmen. [...] Er wird Zeugnis ablegen können für den scharf sich aussprechenden Haß gegen das Militär; er wird vielleicht Zeugnis ablegen können für das Bestreben von jener Seite her, bei geeigneter Gelegenheit die Bemerkung zu den Ohren des Militärs, selbst der höheren Offiziere, zu bringen, daß sie nur von dem lebten, was das Volk im Schweiße seines Angesichts erworben habe und was demselben unrechtmäßig entzogen werde.[190]
Obwohl Klagen über die "Frechheit" der Unterschichten auch vor 1848 nicht
selten waren, ist in Prittwitz` Äußerungen ein deutlich veränderter Grundton derselben
spürbar. Es ging den Arbeitern zunehmend nicht mehr nur um das Recht, Böller
abzubrennen, auf der Straße zu rauchen oder Kartoffeln zu einem angemessenen Preis kaufen
zu können. Ohne dies überbewerten zu wollen (wie etwa in der unter 1.2 kritisierten
DDR-Geschichtsschreibung), kann von einem wachsenden politischen Bewußtsein der
Arbeiterschaft Berlin gesprochen werden, von einem Verlangen, nicht nur Symptome, sondern
auch Ursachen des Elends zu bekämpfen. Die Verbreitung neuer Gedanken, u.a. durch den
Handwerkerverein, war nicht folgenlos geblieben. Zunehmend traten, etwa in den
Zelten-Versammlungen, Sprecher aus der Arbeiterschaft vor das Publikum.[191] Unter die Flut von Schriften besonders aus dem Bürgertum, die
vornehmlich Reformen im liberalen Sinne forderten, mischte sich vom 10. bis 13. März auch
eine "Arbeiter-Adresse":
[...] Der Staat blüht und gedeiht nur da, wo das Volk durch Arbeit seine Lebensbedürfnisse befriedigen und als fühlender Mensch seine Ansprüche geltend machen kann. Wir werden nämlich von Capitalisten und Wucherern unterdrückt; die jetzigen bestehenden Gesetze sind nicht im Stande, uns vor ihnen zu schützen. Wir wagen daher Ew. Maiestät untertänigst vorzustellen, ein Ministerium bestellen zu wollen, ein Ministerium für Arbeiter, das aber nur von Arbeitgebern und Arbeitern zusammengesetzt werden darf und deren Mitglieder nur aus beider Mitte selbst gewählt werden dürfen. Ein solches Ministerium ist nur im Stande den wahren Grund der drückenden Lage des Volkes kennen zu lernen, das Loos der Arbeiter zu verbessern, den Staat vor drohenden Gefahren zu schützen, Eigenthum und Leben Aller bevorstehende Verwüstungen nicht preiszugeben. [...][192]
Die genauen Urheber der Adresse sind nicht bekannt, und natürlich kann nicht ganz
ausgeschlossen werden, daß sich Andere, etwa Studenten, hier (evtl. sogar mit absichtlich
eingestreuten orthographischen Fehlern, wie Wolff sie feststellt) "im Sinne der
Arbeiter" äußerten. Letztlich scheint es jedoch plausibler, die Authentizität der
Adresse anzunehmen; frühere und spätere, verbürgte Forderungen aus der Arbeiterschaft
nach einem Arbeiterministerium Pariser Musters (vgl. die oben angeführten Äußerungen
Junys im Handwerkerverein) legen dies nahe. Angesichts der in der Adresse geäußerten
politischen Ideen nimmt es nicht Wunder, daß die vergleichsweise geringen Konzessionen
des Königs vom 18. März die Arbeiter nicht befriedigen konnten. Während im Vordergrund
der sich an diesem Tage vor dem Schloß versammelnden Masse "nur die besseren
Stände" standen und jubelten, sah die Lage dahinter anders aus: "Ganz im
Hintergrund," so der Lehrer Wilhelm Angerstein, "[sah man] Proletarier und
Arbeiter stehen, die, als sie die vergnügten Gesichter [der Bürger] ringsum sahen,
sagten: das hilft uns armen Leuten doch alles nichts!"[193]
Dennoch kämpften am 18. März nach den unter 5.1 erwähnten Schüssen Bürger und
Arbeiter Seite an Seite auf den Barrikaden, freilich mit völlig unterschiedlichen Zielen
und aus unterschiedlicher Motivation. Während im Bürgertum die Empörung über
militärische Maßnahmen gegen "unbescholtene Bürger" überwog und man
vornehmlich zum Selbstschutz kämpfte und für etwas mehr Freiheit im Sinne der
Märzforderungen, war unter der Arbeiterschaft die Hoffnung auf eine Republik nach
siegreichem Kampfesende durchaus verbreitet, wie etwa eine von Paul Boerner geschilderte
Anekdote andeutet:
In einer Nebenstraße der neuen Königstraße war eine Barrikade errichtet, von der aus man das Feuer einiger Militärs in einer nahen Barrikade lebhaft beantwortete. Hell brannte zu unserem Nachteil an der Straßenecke die Gasflamme, so daß man durch tiefes Dunkel geschützt von dort her schon zwei von uns ziemlich schwer verwundet hatte. Bei der Ausführung des Beschlusses, das Licht auszulöschen, hatte ich Gelegenheit, die eigentümliche, kaltblüthige Philosophie eines Arbeiters zu bewundern, dessen Worte wohl die Ansichten aller seiner Brüder enthielten. Die Laterne sollte nämlich zerschlagen und so auch die Gasflamme gelöscht werden, schon erhob ein anderer seine lange Pike, um diesen Plan zu verwirklichen. Jener einfache, zerlumpte Proletarier widersetzte sich ganz entschieden: ,Wenn wir nun Republik haben`, erklärte er mit voller Überzeugung, so gehört das alles der Gemeinschaft, wir müssen bezahlen, was zerstört ist.` Und trotz der dringenden Gefahr, trotzdem die Kugeln gar nicht anmuthig an seinem Kopf vorbei summten, stieg er mit vieler Würde auf eine Leiter, drehte ganz ruhig, als wollte er sich zum republikanischen Beleuchtungsbeamten empfehlen, den Hahn um, und unsere Absicht war erfüllt.[194]
Enthielt die "eigentümliche, kaltblüthige Philosophie" dieses unerschrockenen
Mannes wirklich "die Ansichten aller seiner Brüder?" Einige Unterschiede zu
früheren Unruhen lassen dies nicht unwahrscheinlich erscheinen. So kommt es in Berlin
weder zum Maschinensturm wie in Wien, noch werden Bäckerläden und andere Geschäfte
geplündert wie in der "Kartoffelrevolution." [195] Immer wieder wird, selbst von bürgerlicher
Seite, das besonnene Kampfverhalten der Arbeiter gelobt, das in krassem Kontrast zur
Brutalität des Militärs stand - möglicherweise tatsächlich die Folge eines Glaubens an
weitreichende Ziele der Märzrevolution. [196] Die Wandlung der Arbeiterschaft hin zu einem größeren
politischen Bewußtsein wird auch im Bericht eines von Wolff nicht benannten,
bürgerlichen Referenten betont. Die Quelle steht in auffälligem Kontrast zur Schilderung
des "Arbeiterlebens" durch Friedrich Saß, die unter 4.1.1 wiedergegeben wurde:
In den Vorstädten debattirten die Leute über die Vorzüge der Republik, über die Nothwendigkeit der Organisation der Arbeit, über die Zukunft der Brüderlichkeit und Gleichheit. In den gewöhnlichsten Kneipen höre ich einen Ton der Unterhaltung, höre ich in gewandter Sprache Doktrinen vortragen, wie ich sie kaum in Salons vernommen. Alles ist bewaffnet. Ein kriegerischer Geist weht durch die Arbeiter.[197]
Daß die revolutionären Hoffnungen der Arbeiterschaft wenig Aussicht hatten, zeigte sich
bereits im März selbst. Der gemeinsame Kampf mit dem Bürgertum währte nur zwei Tage.
Schon bald wurden die unterschiedlichen Ansichten als endgültig unvereinbar erkannt.
Letztlich ist es die Aussichtslosigkeit der Arbeiterhoffnungen, die der Arzt Rudolf
Virchow in folgendem Schreiben vom 24. März anspricht:
Schon beginnt unter der Bürgerschaft die Reaktion gegen die Arbeiter. Schon spricht man wieder vom Pöbel, schon denkt man daran, die politischen Rechte ungleichmäßig unter die einzelnen Glieder der Nation zu verteilen; schon wagt man, die Presse zu terrorisieren, und die Regierung beginnt allmählich wieder einen Ton anzustimmen, der dem Ton vor dem 18. März sehr nahe verwandt ist. Aber die Volkspartei ist wach, und sie ist auch mächtig.[198]
Der Ruf der Studenten nach Freiheit fand in den Wiener Vorstädten
starken Widerhall. Die Fabrikarbeiter, deren Lebenssituation ohnehin trostlos war und die
im Prinzip nichts zu verlieren hatten außer ihrem Leben, bezeugten ihren Unmut direkt mit
gewaltsamen Ausschreitungen.[199] Ernst Violand
berichtet hierzu folgendes:
[...] Zurück zu den Arbeitern, welche sich gegen Mittag ohne jede Aufforderung , ohne jeden Führer, aus bloß innerem Antrieb von den Vorstädten zur Stadt gewälzt hatten und in dieselbe nicht gelangt waren.[...] Nun umkreisten sie wie hungernde Wölfe die Stadtmauern, brannten die Spaliere nieder, zertrümmerten vor dem Burgtor die riesigen Gaskandelaber und machten bei den Toren Feuer an[200], um nach deren Verbrennung in die Stadt zu dringen. Ein großer Teil derselben, bestehend aus Männern, Weibern und Kindern, begab sich wieder in die Vorstädte zurück, dort verbrannten sie die Mautgebäude bei den Linien, da die dort zu zahlende Verzehrsteuer ihnen die Lebensmittel verteuerte, zertrümmerten die ihnen das Brot raubenden Maschinen und zogen dann zu den Wohnungen jener Fabrikherren in Fünf- und Sechshaus, welche sie stets am Lohn verkürzt und ihnen das Leben besonders verbittert hatten, steckten ihre Häuser in Brand und vernichteten deren Hab und Gut. Nur das Streben, Vergeltung zu üben, leitete sie.[201]
Diese Schilderung enthält die wohl wichtigsten Punkte, die das Verhalten der Wiener
Arbeiter kennzeichnen: Sie versuchten zunächst, in die Innenstadt zu gelangen. Nachdem
dieses Vorhaben scheiterte, kehrten sie zurück in die Vororte, und es kam zum
"Maschinensturm". Die hierbei angerichteten Zerstörungen waren nicht ohne
Hintergedanken: Es wurde nur das zerstört, was ihrer Meinung nach für ihr persönliches
Elend verantwortlich zu sein schien. "Jenen Fabrikanten, welche milde gegen sie,
nicht hartherzig waren, brachten sie donnernde Hochs, und sie arbeiteten mit aller
Anstrengung, daß deren Häuser und Habseligkeiten nicht vom Feuer ergriffen wurden."[202]
Interessant in diesem Zusammenhang ist das Verhalten der kleinen Handwerksmeister, die der
gesellschaftlichen "Grauzone" zwischen Kleinbürgertum und Proletariat
zuzuordnen sind[203]: Sie sahen in der
Zerstörung der Fabrikanlagen die Beseitigung lästiger Konkurrenz und leisteten deshalb
auch den Arbeitern keinen größeren Widerstand, zumal diese keineswegs wahllos in ihren
Zerstörungen waren. Besonders deutlich zeigte sich dieses Verhalten im Wiener Vorort
Mödlingen: Nachdem die Arbeiter beteuerten, daß sie lediglich die zwei dort ansässigen
Fabriken zerstören wollten, ließ man ihnen hierbei freie Hand.[204]
Anders als in Berlin erschien in Wien keine "Arbeiteradresse". Offenbar waren
die Arbeiter dort noch weit weniger politisiert als ihre Berliner Pendants. Eine Ursache
hierfür mag darin legen, daß mit dem "Hedemannschen Handwerkerverein" schon im
Berliner Vormärz ein, Vorläufer des politischen Vereinswesens existierte, der als
"Keimzelle der Arbeiterbewegung" Grundlagen eines politischen Bewußtseins legen
konnte.[205]
Diese Lücke wurde in Wien zunächst durch die Studenten geschlossen: Während der
Märzunruhen errichtete die akademische Legion ein Studentenkomitee, das sich nicht nur
mit Anliegen der Studenten beschäftigte, sondern auch die Interessen der Arbeiter
vertrat. Wie Ernst Violand beschreibt, reichte die Unterstützung der Arbeiter durch die
Studenten wesentlich weiter als die der Berliner Gesellen und Arbeiter durch den
Handwerkerverein:
In diesem Durcheinander aller Verhältnisse [wandten] sich alle Arbeiter und Landleute an die Studenten, und diese taten, was sie konnten, um [...] die Ordnung zu erhalten und zu helfen. Gab es Klagen gegen einen Arbeitsherren, so gingen die Studenten zu ihm und nötigten ihn [...] seine Schuldigkeit zu erfüllen.[206]
So dienten die Studenten den unteren Bevölkerungsschichten als Sprachrohr. Als ein Art
"Gegenleistung" hierfür kann möglicherweise das Engagement der Arbeiter bei
den Kämpfen der Märzereignisse gesehen werden: Handwerksgesellen und Arbeiter, ähnlich
wie in Berlin, die überwiegende Mehrheit unter den Märzgefallenen gesehen werden, wobei
die meisten Opfer in den Vorstädten zu beklagen waren. Von den 48 Toten stammte nur etwa
ein Fünftel aus dem Bürgertum, der Rest bestand aus Handwerksgesellen und Arbeitern.[207]
Als Resultat des hier durchgeführten historischen Vergleichs Wiens und Berlins auf
mehreren Ebenen fallen zunächst einige Gemeinsamkeiten ins Auge: beide Städte hatten
1848 eine annähernd gleich große Einwohnerzahl, bei beiden resultierte das
Bevölkerungswachstum vorwiegend aus Migrationsbewegungen. Beide Städte befanden sich
zudem in einer Phase des wirtschaftlichen Umbruchs bzw. eines Strukturwandels, der auch
eine Verschiebung ihres Sozialgefüges bewirkte. Es erscheint plausibel, daß gerade
deswegen die (zunächst) Agrar- und (anschließend) Wirtschaftskrise der Jahre 1846-48
gravierende Auswirkungen auf die jeweiligen Bevölkerungen, und davon wiederum vorrangig
auf die sozialen Unterschichten, hatte. Die wirtschaftliche und soziale Lage der
Arbeiterschaft beider Städte war gleichermaßen schlecht (Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit,
Armut).
Bei den Studenten hingegen fällt der Vergleich anders aus: als einer der offenkundigsten
Unterschiede zwischen den Städten ist die Lebenssituation ihrer Studentenschaften zu
verzeichnen. Das in Wien weitverbreitete Studentenelend (das, wenn nicht ihre Mehrheit, so
doch einen beträchtlichen Teil betraf) fand in Berlin kein Gegenstück. Die Berliner
Studenten waren fest im Bürgertum verwurzelt. Materielle Not war ihnen allenfalls aus
Schilderungen, bestenfalls Beobachtungen, nicht jedoch aus eigener Erfahrung heraus
bekannt. Viele ihrer Wiener Pendants hingegen, zu einem nicht geringen Teil selbst aus der
Arbeiterschaft stammend, waren mit schlechten Lebensbedingungen vertraut - ein
Unterschied, der sich offenbar unmittelbar in der gleichfalls stark differierenden Haltung
beider Gruppen gegenüber der Arbeiterschaft niederschlug.
Besonders während der Märzereignisse wurde dies deutlich: nach Ausbruch der
Kampfhandlungen in Wien baute sich zwischen den zwei dortigen "Kampfesebenen",
nämlich den von Arbeitern dominierten Vororten und den bürgerlichen Stadtteilen
innerhalb der Stadtmauern, ein Spannungsverhältnis auf. Gleichsam als "Wandler
zwischen den Welten" des Bürgertums und der Arbeiterschaft befanden sich die Wiener
Studenten in einer Sonderstellung, die sie zur Durchsetzung ihrer Interessen zu nutzen
versuchten, indem sie mit der Arbeiterwut als "Trumpfkarte" drohten.
An der Vorgehensweise der Studenten nach der Bürgerbewaffnung, die in beiden Städten aus
ähnlichen Motiven der Obrigkeit stattfand (Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung durch
Kontrolle des "Pöbels") läßt sich dieser Unterschied verdeutlichen: in Berlin
manifestierten die dort gebildeten Studentencorps die endgültige, auch nach außen hin
sichtbare, Zuordnung zum Bürgertum und seinen Zielen. Abgesehen von einer klaren
Minderheit (etwa der Moneckeschen "Radikalen-Rotte") galten der Mehrzahl der
Mitglieder der Studentencorps die Arbeiter als Gegner.
In Wien dagegen setzten Bürgertum und Studenten die ihnen in Form der Bewaffnung vom Hof
übertragene Verantwortung und Macht in voneinander verschiedene Handlungsweisen um. Die
bürgerliche "Nationalgarde" bekämpfte die Arbeiter brutal, die Studentenlegion
dagegen setzte auf eine weitgehend gewaltfreie Befriedung derselben und sogar eine
Teilsolidarisierung - ein konsequentes Handeln angesichts der studentischen Überzeugung,
daß "es bald wieder zu einem Kampfe mit dem Militär kommen werde, für den man der
Mithilfe der Volksmassen sich versichern müsse." [208]
Obwohl die Funktion des Wiener Studentenkomittees als engagiertes "Sprachrohr der
Arbeiter" (eine Einrichtung, die in Berlin kein Gegenstück findet) beweist, daß
sich die Wiener Studenten durchaus auch aus sozialen Motiven (schlicht ausgedrückt,
"Hilfsbereitschaft") der Arbeiter annahmen, geschah diese Annäherung
keinesfalls aus reinem Mitleid. Politisches Kalkül, der Wille, die Arbeiter als
Machtinstrument und Kampfmittel einzusetzen, spielte eine gewichtige Rolle.
Daraus darf man jedoch nicht ableiten, daß die politischen Ansichten der Wiener Studenten
radikaler waren als die ihrer Berliner Kommilitonen. Auch die Wiener Studenten machten
"vor dem Thron halt", sie wollten keine Republik. Tatsächlich ähnelten sie in
ihren Überzeugungen weit eher der gemäßigt liberalen Mehrheit der Berliner
Studenten als den dortigen "Radikaldemokraten"; und das, obwohl die Handlungen
jener Berliner Studentengruppe (man denke zum Beispiel an den Gang Salis-Seewis` zu den
Borsig-Arbeitern) auf den ersten Blick denen der Wiener Studenten zu entsprechen scheinen.
Es ist somit klar zwischen angestrebten Zielen und für möglich und nötig
erachteten Mitteln zur Erreichung derselben zu unterscheiden: Trotz dezidiert
nichtradikaler Ansichten - ein radikaldemokratischer Flügel wie in Berlin läßt sich in
Wien nicht nachweisen - griffen die Wiener Studenten zu Mitteln, die in Berlin nur die
Radikaldemokraten für sinnvoll erachteten, ohne die große Mehrheit ihrer Kommilitonen je
davon überzeugen zu können.
Die Mehrheit der Berliner Studenten schien davon auszugehen, daß zur Erhaltung des
Erreichten die Arbeiter in Schach gehalten werden müßten, sie sahen die "Beruhigung
der Hauptstadt als erste Bürgschaft für den Sieg der Reformen."[209] Ein gezielter "Beschwichtigungskurs" der Berliner
Obrigkeit ihnen gegenüber (man denke an den Aulabesuch des neuen Kultusministers samt
Polizeipräsident, der unter 6.1.1 dargestellt wurde), offenbar motiviert durch Berichte
über das Verhalten der Wiener Studenten, stärkte die gemäßigte
"Ruhe-und-Ordnung-Fraktion" (insofern könnte man fast davon sprechen, daß die
Berliner Obrigkeit geschickt die dortigen Studenten gegen die Arbeiter
instrumentalisierte, während die Wiener Studenten die Arbeiter gegen die Obrigkeit
instrumentalisierten).
Das unterschiedliche Verhalten der Wiener und Berliner Studentenschaften in den
Märzereignissen, resultierend offenbar aus unterschiedlicher sozialer Herkunft und
materieller Lage, ist jedoch nicht die einzige Erkenntnis aus dem durchgeführten
historischen Vergleich: Zusätzlich weist gerade die Vergleichsperspektive darauf hin,
daß die Berliner Arbeiterschaft schon während der Märzereignisse offenbar stärker
politisiert war als dies oft in der Literatur angenommen wird. Dies darf nicht
überbewertet werden. Es gibt nicht überwältigend viele Beispiele für selbständiges
politisches Handeln der Berliner Arbeiterschaft - aber es gibt sie; dies fällt gerade im
Gegensatz zu Wien auf. Einige von ihnen wurden unter 4.1.1 und 6.1 zitiert: Gespräche in
Arbeiterkneipen über die Republik. Eine "Arbeiteradresse". Kämpferische
Gesellenreden im Handwerkerverein, später auch Arbeiterreden "Unter den Zelten"
und bei weiteren Volksversammlungen. Ein Arbeiter, der todesmutig eine Gaslampe
ausschaltet anstatt sie zu zerschießen, um sie für die kommende Republik zu retten.
Von einem voll ausgebildeten "Klassenbewußtsein" der dortigen Arbeiter kann
deshalb noch nicht gesprochen werden, ebensowenig wie in Wien. Politische Forderungen aber
wurden dennoch erhoben. Möglicherweise ist es die Folge einer Art
"Überkompensation" gegenüber Werken der marxistisch beeinflußten
Geschichtsschreibung, daß die Politisierung der Berliner Arbeiterschaft schon während
der Märzereignisse in der vorhandenen Literatur oft "heruntergeredet" wird.[210] Eine eingehendere Untersuchung des Phänomens
"Arbeiterpolitisierung während der Berliner Märzereignisse" scheint lohnend.
Abschließend bleibt festzustellen, daß die Methode des historischen Vergleichs zwischen
Städten und Regionen trotz aller Schwierigkeiten, die sie mit sich bringt, ein großes
Potential birgt: zwar kann eine gewisse Generalisierung nicht vermieden werden, wenn man
aus den so gewonnenen Beobachtungen Schlüsse zieht - doch schärft der Vergleich auf
jeden Fall den eigenen Blickwinkel und gibt so, nach dessen Durchführung, neue Impulse
für die weitere Forschung.
Bach, Maximilian: Geschichte der Wiener Revolution im Jahre 1848, Wien 1898.
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Beziehungen, Wien 1897.
[1] Analog zum Sprachgebrauch in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezeichnet der Begriff "Arbeiter" in dieser
Arbeit vordringlich "unselbständige[r] Handarbeiter im Handwerks- oder
Fabrikbetrieb", nicht also ungelernte Tagelöhner. Es kann jedoch im folgenden nicht
darauf verzichtet werden, gelegentlich - auch dies analog zum Sprachgebrauch des 19.
Jahrhunderts, über "Arbeiter im weiteren Sinne", dann weitgehend synonym zu
"Sozialen Unterschichten" (außer Frauen und Kindern) zu sprechen. Ist dies der
Fall, wird die zeitweilige Begriffsausweitung im Text angezeigt. Zur Definition des
Begriffs "Arbeiter": Dieter Bergmann, Die Berliner Arbeiterschaft in Vormärz
und Revolution 1830-1850. Eine Trägerschicht der beginnenden Industrialisierung als neue
Kraft in der Politik, in: Otto Büsch (Hg.), Untersuchungen zur Geschichte der frühen
Industrialisierung vornehmlich im Wirtschaftsraum Berlin/Brandenburg
(Einzelveröffentlichungen der historischen Kommission zu Berlin beim
Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Bd. 6), S. 458-461. Vgl. auch
Anm. [50] dieser Arbeit.
[2] Jürgen Kocka, Weder Stand noch Klasse.
Unterschichten um 1800, Bonn 1990.
[3] Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800-1866.
Bürgerwelt und starker Staat, München 19874, S. 602.
[4] Rüdiger Hachtmann, Berlin 1848. Eine Politik-
und Gesellschaftsgeschichte der Revolution, Bonn 1997 (Veröffentlichungen des Instituts
für Sozialgeschichte e.V., hg. Von Dieter Dowe). Ebenfalls nützlich und für dies Arbeit
herangezogen: Rüdiger Hachtmann, Die sozialen Unterschichten in der großstädtischen
Revolution von 1848. Berlin, Wien und Paris im Vergleich, in: Ilja Mieck (Hg.), Paris und
Berlin in der Revolution 1848, Sigmaringen 1995, S. 107-136. Der Titel dieses Aufsatzes
ist allerdings irreführend: Wien wird darin nur sporadisch erwähnt.
[5] Etwa in der Frage "Bürgerrevolution"
(Nipperdey) oder "Aufbegehren der Unterschichten" (Gailus).
[6] Manfred Gailus, Pöbelexzesse und Volkstumulte
in Berliner Vormärz, in: ders. (Hg.), Pöbelexzesse und Volkstumulte in Berlin. Zur
Sozialgeschichte der Straße (1830-1980), Berlin 1984, S. 1-41; Umfassender, leider aber
zur Verfassung der Arbeit nicht verfügbar und daher hier nicht herangezogen: Ders.,
Straße und Brot. Sozialer Protest in den deutschen Staaten unter besonderer
Berücksichtigung Preußens, 1847-1849 , Göttingen 1990; Bergmann, Arbeiterschaft, S.
455-511; Jürgen Bergmann, Das Berliner Handwerk in den Phasen der
Frühindustrialisierung, Berlin 1973; Jürgen Bergmann, Das ,Alte Handwerk` im Übergang.
Zum Wandel von Struktur und Funktion des Handwerks im Berliner Wirtschaftsraum in vor- und
frühgeschichtlicher Zeit, in: Büsch, Untersuchungen, S. 224-269.
[7] Für diese Arbeit davon herangezogen: Heinz
Habedank et al., Geschichte der revolutionären Berliner Arbeiterbewegung, Band 1: Von den
Anfängen bis 1917 (Schriften der Bezirksleitung Berlin der SED-Kommission zur Erforschung
der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung), Berlin 1987.
[8] Karl Obermann, Die Berliner Universität am
Vorabend und während der Revolution von 1848, in: Willi Gröber/Friedrich Herneck (Hg.),
Forschen und Wirken. Festschrift zur 150-Jahr-Feier der Humboldt-Universität zu Berlin
1810-1960, Bd.1: Beiträge zur wissenschaftlichen und politischen Entwicklung der
Universität, Berlin 1960, S. 165-201; ausführlicher zur Geschichte der Universität,
leider jedoch zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Arbeit nicht verfügbar: Max Lenz,
Geschichte der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, Bd.1-3, Halle a.S.,
1910-18.
[9] Heide Thielbeer, Universität und Politik in der
Deutschen Revolution von 1848, Bonn 1983.
[10] Wolfram Siemann, Die deutsche Revolution von
1848/49, Frankfurt a.M., 1985 (Neue historische Bibliothek, hg. von Hans-Ulrich Wehler,
edition suhrkamp, neue Folge, Bd. 266); Günther Wollstein, Deutsche Geschichte 1848/49.
Gescheiterte Revolution in Mitteleuropa, Stuttgart 1986.
[11] Wolfgang Häusler, Von der Massenarmut zur
Arbeiterbewegung. Demokratie und soziale Frage in der Wiener Revolution von 1848, München
1979.
[12] Klaus-Walter Frey, Die bürgerliche
Revolution des Jahres 1848 an den Universitäten in Wien, Graz und Innsbruck unter dem
Einfluß der freiheitlich-burschenschaftlichen Bewegung, jur. Diss. Würzburg 1983
(masch.).
[13] Abgesehen von der leichten Glorifizierung der
Studentenschaft in der Schrift Freys.
[14] Veit Valentin, Geschichte der deutschen
Revolution 1848-49, 2 Bde., Berlin 1930/31; Dieter Langewiesche, Die deutsche Revolution
von 1848/49, Darmstadt 1983.
[15] Aus Gründen der Verhältnismässigkeit des
Aufwands mußte von einer direkten Betrachtung dieser Quellen in Berliner Archiven leider
abgesehen werden.
[16] Adolf Wolff, Berliner Revolutions-Chronik.
Darstellung der Berliner Bewegungen im Jahre 1848 nach politischen, socialen und
literarischen Beziehungen, 3 Bde., Berlin 1851-54. Weniger umfassend, dennoch als Quelle
zum Thema überaus nützlich und mit ähnlichem ideologischem Hintergrund: Karl-August
Varnhagen von Ense, Tagebücher, Bd.4, hg. von Ludmilla Assing, Leipzig 1862-63.
[17] Karl Ludwig von Prittwitz, Berlin 1848. Das
Erinnerungswerk des Generalleutnants Karl Ludwig von Prittwitz und andere Quellen zur
Berliner Märzrevolution und zur Geschichte Preußens um die Mitte des 19. Jahrhunderts.
Bearbeitet und eingeleitet von Gerd Heinrich, Berlin 1985 (Veröffentlichungen der
historischen Kommission zu Berlin, Bd. 60 / Quellenwerke, Bd. 7).
[18] Die aus Gründen der Verfügbarkeit leider
indirekt, nämlich aus den Werken Wolffs, Obermanns und Hachtmanns, zitiert werden
müssen.
[19] Nicht umsonst zählt Hachtmann in seiner
Zusammenfassung der acht Hauptkriterien der "Kultur der Armut" im Sinne Oscar
Lewis` auch das Primat der "Mündlichkeit" auf. Vgl. dazu Anm. [51]
dieser Arbeit.
[20] Hachtmann, Berlin 1848, S. 35.
[21] Heinrich Reschauer / Moritz Smets, Das Jahr
1848. Geschichte der Wiener Revolution, 2 Bde, Wien 1872.
[22] Maximilian Bach, Geschichte der Wiener
Revolution im Jahre 1848, Wien 1898; Ernst Victor Zenker, Die Geschichte der Wiener
Journalistik. Von den Anfängen bis zum Jahre 1848, Wien 1892; Ders., Die Wiener
Revolution in ihren socialen Voraussetzungen und Beziehungen, Wien 1897.
[23] Ernst Violand, Die soziale Geschichte der
Revolution in Österreich 1848 (1850), hg. v. Wolfgang Häusler, Wien 1984. Violand
gehörte der akademischen Legion, dem politischen Zentralkomitee der Nationalgarde, dem
Sicherheitsausschuß und dem Reichstag an und gehörte somit zum "Kern der
Bewegung" - Häusler, S. 432 f.
[24] Karin Weimann, Bevölkerungsentwicklung und
Frühindustrialisierung in Berlin 1800-1850, in: Büsch, Untersuchungen, S. 161-5. Die
hier beschriebene Migrationsbewegung, der "ungeheure Zustrom arbeitswilliger und
arbeitssuchender Menschen in die aufstrebende Industriestadt Berlin", war durch das
Steinsche Oktoberedikt vielleicht erst ermöglicht worden, da es die Mitglieder der
bislang erbuntertänige Landbevölkerung von ihren Verpflichtungen gegenüber ihren
einstigen Herren befreite. - Wolfgang Ribbe (Hg.), Geschichte Berlins. Erster Band: Von
der Frühgeschichte zur Industrialisierung, München 1987, S. 442-3.
[25] Eine Sozialstruktur dieser Gesamtbevölkerung
im eigentlichen Sinne ist aus statistischen Gründen schwierig zu erstellen: das
vorhandene Zahlenmaterial reflektiert strenggenommen eher die Erwerbsstruktur, da nur
über die "Erwerbsfähigen" (ihre Zahl wird für 1846 mit rund 150.000
beziffert) wirklich gewissenhafte Statistiken geführt wurden. Auch Hachtmann ist sich
dieser Problematik bewußt, er geht jedoch davon aus, daß die proportionalen Anteile an
den Erwerbsfähigen ungefähr auch auf die soziale Schichtung der Gesamtbevölkerung zu
übertragen sind. - Hachtmann, Berlin 1848, S. 70-1.
[26] Der Adel blieb jedoch nicht ganz ohne
Einfluß auf die Erwerbsstruktur: So konkurrierten Adel und Bürgertum um Posten in der
höheren Staatsverwaltung; das "Eindringen bürgerlicher Mittelschichten in die
Staatsverwaltung [wurde] durch einen ,adeligen Rückstoß` (W. Conze) behindert." Der
"Adelsanteil in den Zentralbehörden [...] wuchs [...] bis Mitte der vierziger Jahre
auf die Hälfte aller Stellen." - Siemann, S. 24.
[27] Im Jahre 1846. Da die Anteile, wie die
Statistik zeigt, 1849 kaum verändert sind und für 1847 und 1848 keine Zahlen vorliegen,
wird auch im folgenden auf die Zahlen dieses Jahres zurückgegriffen. Wenn nicht anders
angegeben, entstammen alle Zahlen dieses Abschnitts Hachtmann, Berlin 1848, S.71.
[28] Leider ist aus Hachtmanns Angaben nicht
ersichtlich, ob er die verbeamteten Adeligen in dieser Zahl mit eingerechnet hat oder
nicht - vgl. Anm. [26] dieser Arbeit.
[29] Siemann, S. 23.
[30] Lehrer, Geistliche, Journalisten, Literaten
usw. hatten insgesamt einen Anteil von rund 2,11% an der Berliner Bevölkerung, Gastwirte
und kleine Kaufleute rund 2,66%, wohlhabende Handwerksmeister 6,71% und mittlere sowie
untere Beamte rund 2,01%. Der Rest der genannten 18,01% entfällt auf Rentiers und
Pensionäre sowie Studenten und Auszubildende für bürgerliche Berufe. -
Berechnungsgrundlage dieser Zahlen: Hachtmann, S. 71.
[31] Zenker, Revolution 1848, S. 76.
[32] Häusler, S. 87.
[33] G. Otruba / L.S. Rutschka, Die Herkunft der
Wiener Bevölkerung (1957), S. 239, zit. nach Häusler, S. 86.
[34] Verdeutlicht wird die Wohnungsnot durch
folgende Zahlen: Standen im Jahr 1827 den 289.382 Bewohnern Wiens noch 7856 Häuser
gegenüber, so waren 1847 lediglich 8756 Häuser bei 412.513 Einwohnern. Zenker,
Revolution, S. 270.
[35] Festschrift KKB 1870, S.85, zit. nach:
Hans-Peter Helbach, Berliner Unternehmer in Vormärz und Revolution 1847-1848, in: Büsch
(Hg.), Untersuchungen, S. 439. - Zu den zitierten "schnell sinkenden
Getreidepreisen" sei angemerkt, daß es zu diesem Sinken erst nach der
"Kartoffelrevolution" vom 21.April 1847 kam, welche ihres Namens zum Trotze eher
billigeres Brot zum Ziel hatte und ihrerseits durch infolge von Spekulationen künstlich
hochgetriebene Getreidepreise verursacht wurde (vgl. Punkt 4.1.1 dieser Arbeit) . -
Hachtmann, Berlin 1848, S. 82 ff.
[36] Zum Handwerk sind hier sowohl größere
Betriebe mit maximal 20 Beschäftigten, etwa im Zimmerei- oder Buchdruckerhandwerk, als
auch Kleinstbetriebe der "Massenhandwerke" wie etwa Schumacherwerkstätten,
gerechnet. - Hachtmann, S. 80. Von 1841 bis 1848 war der Anteil der von der Gewerbesteuer
befreiten "proletaroiden Handwerksmeister" mit maximal einem Gesellen bzw.
Lehrling von 75,55% auf 77,35% gestiegen. Die Konkurrenz der "Pfuscher", also
nicht-zünftiger Meister, trug ihr Übriges zur Verelendung dieser Klientel bei. -
Bergmann, Handwerk, S. 203.
[37] Bergmann, Arbeiterschaft, S. 463. Zu den
Auswirkungen des Gewerbesteuer-Edikts von 1810: "fortan konnte jedermann ein Gewerbe
betreiben, der eine polizeiliche Bescheinigung über einen rechtschaffenen Lebenswandel
vorlegte und die Steuer im voraus bezahlte." Diese "radikale Liberalisierung des
Gewerbelebens" verursachte in Berlin einen "Sturm der Entrüstung". -
Hierzu und zu weiteren Auswirkungen der preußischen Reformen auf Berlin: Ribbe, S.
442-47.
[38] "Vossische Zeitung" vom 31. Januar
1848, zit. nach Hachtmann, Berlin 1848, S. 84.
[39] Hachtmann, Berlin 1848, S. 81.
[40] Ohnehin sollte dieser Entwicklungsprozeß
erst Ende der 50er Jahre auf einem ersten Höhepunkt ankommen. - Bergmann, Arbeiterschaft,
S. 461-62. Zu Strukturwandel und Mechanisierung in der Wirtschaft Berlins vgl. auch Ribbe,
S. 540-573.
[41] Hachtmann, Berlin 1848, S. 78.
[42] Hachtmann, Berlin 1848, S. 80.
[43] Zur gesamtwirtschaftlichen Lage Österreichs
im Vormärz siehe Julius Marx, Die wirtschaftlichen Ursachen der Revolution von 1848 in
Österreich, Köln 1965, (Veröffentlichungen der Kommission für neuere Geschichte
Österreichs, Bd. 51), S. 73-94.
[44] So stieg der Weizenpreis in diesem Zeitraum
um rund 44%, der für Kartoffeln wegen der vermehrt auftretenden
"Kartoffelfäule" gar um rund 244 %. Vgl. Zenker, Revolution, S. 263.
[45] Vgl. Zenker, Revolution, S. 61. Zur
Berlin-Parallele vgl. Anm. [55] dieser Arbeit.
[46] Aufgrund der Einführung dieser Maschinen war
es 1844 bereits in Prag zu Aufständen gekommen. - Häusler, S. 145.
[47] Da keine ausdrücklichen Zahlen über die
Anzahl der im Maschinenbau Beschäftigten vorliegen, sei hier auf ein anderes Faktum
hingewiesen: 1844 wurden nach Wien 365.696 Maschinen und Maschinenteile importiert, der
Export lag bei lediglich 53.780 - Zenker, Revolution, S. 260.
[48] Hachtmann, Berlin 1848, S. 71.
[49] Horant Faßbinder, Berliner Industrieviertel
1800-1918, S.45.
[50] "Es ist für die Auffassung in dieser
Zeit bezeichnend, daß man, wenn auch Tagelöhner, Landarbeiter und ungelernte
Fabrikarbeiter gemeint waren, zu einer Formulierung wie ,Arbeiter im weitesten Sinne des
Wortes` griff [...]. Die Grenzen zwischen Handwerksgesellen und Fabrikarbeitern und den
ungelernten Tagelöhnern waren fließend. - Bergmann, Arbeiterschaft, S. 460. Vgl. auch
Anm. [1] dieser Arbeit.
[51] Hachtmann, Berlin 1848, S. 35, 74. Als
triebhaft, faul, exzessiv und sauf- wie rauflustig verschrien, stellte die "Hefe des
Volkes" alles das dar, was das Bürgertum nicht sein wollte. Mit bürgerlichen
Tugenden wie Ordnung, Sittlichkeit, Sparsamkeit und Fleiß war die "Kultur der
Armut" (so ein Wort des Anthropologen Oscar Lewis), kaum vereinbar. Hachtmann faßt
deren acht wichtigsten Elemente zusammen als "augenblicksbezogene Lebensweise",
hohe Gewaltbereitschaft in Sozialbeziehungen, eine "kaum ausgeprägte Trennung von
öffentlicher und privater Sphäre und die niedrige ,Scham- und
Peinlichkeitsschwelle`", eine noch fehlende Verinnerlichung der z.B. für den
Schichtbetrieb notwendigen, "exakte[n] Zeitökonomie", Mündlichkeit statt
Schriftlichkeit, "Feindseligkeit gegenüber den Repressivorganen der Obrigkeit",
"Ablehnung der offiziellen Kirche und der Geistlichkeit" sowie die
"Akzeptanz bestimmter Alltagsvergehen" wie Holzdiebstahl oder öffentliches
Rauchen. - Hachtmann, Unterschichten, S. 129-133.
[52] Friedrich Saß, Berlin in seiner neuesten
Zeit und Entwicklung, Leipzig 1846, S. 18, zit. nach: Gailus, Pöbelexzesse, S. 9.
[53] Die folgenden Angaben zu Wohnsituation und
Entlohnung, soweit nicht anders spezifiziert, aus: Habedank, Arbeiterbewegung, S. 10-16.
[54] Hachtmann, Berlin 1848, S. 80, Habedank,
Arbeiterbewegung, S. 20.
[55] Noch schlechter bezahlt als die männlichen
Arbeiter waren Frauen und Kinder, deren Beschäftigtenzahl allein in der Textilindustrie
für 1849 mit 5-6000 angegeben wird - die tatsächliche Zahl dürfte noch weit höher
gelegen haben. - Habedank, Arbeiterbewegung, S. 18.
[56] Ausführlicher zu den Rehbergern: Hachtmann,
Berlin 1848, S. 437-460.
[57] Wohlgemerkt: kleine Bürgerhaushalte sind in
diesem Durchschnitt inbegriffen.
[58] Günter Liebchen, Zu den Lebensbedingungen
der unteren Schichten in Berlin im Vormärz. Eine Betrachtung an Hand von
Mietpreisentwicklung und Wohnverhältnissen, in: Büsch, Untersuchungen, S. 287.
[59] Ausführlich zur Wohnsituation besonders in
den "Familienhäusern": Johann-Friedrich Geist, Klaus Kürvers, Das Berliner
Mietshaus 1740-1862, München 1980,S. 272-464.
[60] Habedank, Arbeiterbewegung, S. 16.
[61] Das positive Königsbild des
"Pöbels" illustriert auch der fast zur Lynchjustiz gegenüber dem erfolglosen
Königs-Attentäter Tschech führende "Volkszorn" im Jahre 1844. - Gailus,
Pöbelexzesse, S. 4-5.
[62] Hachtmann, Berlin 1848, S. 86.
[63] Gailus, Pöbelexzesse, S. 22.
[64] Resultat: "Ein konsterniertes
Bürgertum, ein beunruhigter König, zwei Tote im Volk, Verwundete, 152 Verhaftete,"
nicht aber mehr; eher also ein unpolitisches "Revolutiönchen". - Gailus,
Pöbelexzesse, S. 23. Ähnlich (wenn auch weniger spektakulär) der
"Rauchertumult" von 1845: "Eine Gruppe von ca. 200 Arbeitern zieht bei
Feierabend ,rauchend und lärmend und sich so umfassend, daß sie die ganze Breite der
Straße einnehmen`". Außer einer Schlägerei mit der Gendarmerie samt einiger
Steinwürfe und dem zitierten Verstoß gegen das Rauchverbot geschah dabei nichts. -
Gailus, Pöbelexzesse, S. 13.
[65] Immerhin hatten die
"Revolutionäre" erreicht, daß in der Folge strengere Kontrollen gegen
Preisspekulationen und Wucher bei Kartoffeln, Roggen und anderen Grundnahrungsmitteln
eingesetzt wurden. Ausführlich zur "Kartoffelrevolution": Gailus,
Pöbelexzesse, S. 23-35.
[66] Gailus, Pöbelexzesse, S. 29.
[67] Hachtmann, Berlin 1848, S. 86.
[68] Habedank, Arbeiterbewegung, S. 18.
[69] Hachtmann, Berlin 1848, S.100-101.
[70] Zudem hatte "der hohe Anteil wandernder
Gesellen unter den Vereinsmitgliedern ... zur Folge, daß neue und nicht zuletzt
frühsozialistische Ideen in der Mitgliedschaft zirkulierten." - Hachtmann, Berlin
1848, S. 100-101.
[71] "Deutsche Arbeiter Zeitung" (DArZ)
vom 12. April 1848, zit. nach: Hachtmann, Unterschichten, S. 113. Junys Vortrag ist
insofern bemerkenswert, als das er eines der ersten Beispiele einer genuin aus der
Arbeiterschaft kommenden, auf soziale Veränderungen drängenden und ein politisches
Bewußtsein offenbarenden, Äußerung ist.
[72] Hachtmann, Berlin 1848, S. 101-102.
[73] Ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl der
Gesellen mit den Industriearbeitern, ein "diffuses Klassenbewußtsein" konnte
schon im Vormärz festgestellt werden - ohnehin kamen die Mitglieder der
Fabrikbelegschaften vielfach direkt aus dem Handwerk. (Hachtmann, Berlin 1848, S. 76).
[74] Habedank, Arbeiterbewegung, S. 19-26.
"Wichtig ist, daß die Betroffenen glaubten, ein derartiges Elend wie im
unmittelbaren Vormärz habe seit Menschengedenken nicht mehr geherrscht." -
Hachtmann, Berlin 1848, S. 85-6.
[75] Varnhagen von Ense, Tagebücher, Bd. 4, zit.
nach Hachtmann, Berlin 1848, S. 68.
[76] Soweit es aus den zugänglichen Daten
hervorgeht, bildeten die erwachsenen Männer 1848 nicht einmal mehr 50% der
Fabriksarbeiter. Die Mehrheit stellten Frauen und Kinder, ähnlich wie in Berlin. Vgl.
Häusler, S. 92 f.; Anm. [55] dieser Arbeit.
[77] Violand, S. 71.
[78] Häusler, S. 131.
[79] Wie sehr die Bevölkerung unter dieser Steuer
litt, zeigt ihr Verhalten während der Märzunruhen: Neben den Maschinen in den Fabriken
wurden auch die "Mauthäuser", für die Arbeiter Wahrzeichen der verhaßten
Steuer, zerstört.
[80] Vgl. Zenker, Revolution, S. 77 f.
[81] Zenker, Revolution, S. 82.
[82] Erst am 30. April 1848 wurde mit der
"Wiener Typographia", einer Organisation der Wiener Buchdrucker, der erste
"Arbeiterverein" gegründet. Ähnlich wie in Berlin war auch hier der
Bildungsgedanke ein wichtiges Anliegen, was unter anderem in der Forderung nach einer
"Arbeiter-Nationalbibliothek" zum Ausdruck gebracht wurde. Häusler, S. 312.
[83] Häusler, S. 95. Lediglich im Bereich der
sozialen Fürsorge konnte 1842 der "Verein zur Unterstützung erkrankter Buchdrucker-
und Schriftgießer-Gehilfen Wiens" legal ins Leben gerufen werden. Vgl. Karl Höger,
Aus eigener Kraft! Die Geschichte eines österreichischen Arbeitervereins seit 50 Jahren,
Wien 1892, zit. nach Häusler, S. 95.
[84] Häusler, S. 41-43.
[85] So schreibt der Berliner Schriftsteller Adolf
Glaßbrenner, in krassem Kontrast zu der (freilich etwas später entstandenen) unter 4.1.1
dieser Arbeit wiedergegebenen Schilderung des wüst-fremden Berliner Wirtshauslebens durch
Friedrich Saß, über die Wiener Wirtshausgeselligkeit: "In demselben Wirtshaus, wo
Lakaien, Holzträgerinnen, Fiaker und Packknechte ihr Seidel Bier trinken, siehst du
berühmte Künstler, Kaufleute, Beamte und reiche Kavaliere [...]" - Adolf
Glaßbrenner, Bilder und Träume aus Wien, Berlin 1922, S. 46, zit. nach Häusler, S.
72-3.
[86] Hachtmann, S. 89-90. Obermann gibt die
Studentenzahl für das Wintersemester 1847/48 drastisch höher mit 2074 an, da diese Zahl
aber nicht überzeugend nachgewiesen wird und auch andernorts nicht auftaucht, wird
aufgrund der generell sehr sorgfältigen Arbeit Hachtmanns hier aber dessen Zahl der
Vorzug gegeben. - Obermann, Universität, S. 178.
[87] Zit. nach Hachtmann, S. 90. Tatsächlich war
mit der Berliner Universität, die am 15.10.1810 ihren Lehrbetrieb aufnahm, zunächst eine
"Bildungsstätte ganz neuen Typs, in der Wissenschaft als ständiger Lern- und
Erfahrungsprozeß empfunden und vermittelt wurde, um die Studenten von Unmündigkeit und
geistiger Abhängigkeit zu selbständiger kritischer Auseinandersetzung zu führen
[...]" entstanden. - Ribbe, S. 449.
[88] Tatsächlich waren die meisten etablierten
Berliner Hochschullehrer sogar "intoleranter und konservativer als ihre Kollegen an
den meisten deutschen Universitäten." - Hachtmann, Berlin 1848, S. 362.
[89] Hachtmann, Berlin 1848, S. 90.
[90] Das Verbot wurde beschlossen, obwohl ein
vorher von Eichhorn eingefordertes Gutachten der Universität zur Berechtigung Nauwercks,
auch über Staatssysteme zu lehren, einen für letzteren positiven Bescheid ergeben hatte.
Nach seinem Rücktritt blieb Nauwerck populär in Studentenschaft und liberalem
Bildungsbürgertum. Von 1846-48 war er Berliner Stadtverordneter, 1848-49 sogar Vertreter
der "äußeren linken" in der Paulskirche - Obermann, Universität, S. 170-5.
[91] So erschien 1847 ein Artikel, in dem
Professor Carl Michelet die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms IV. kritisierte - erst nach
einem Proteststurm aus Studentenschaft, Teilen des Lehrpersonals und Bildungsbürgertum
wurde eine Gerichtsurteil deswegen ausgesetzt). - Obermann, Universität, S. 175.
[92] Die Kontrollbemühungen von staatlicher Seite
legen nahe, daß auch die preußische Obrigkeit zu der Einschätzung gelangt war, daß
"[d]ie Wirkung der Universitäten auf Weltanschauung und Bewußtsein der
bürgerlichen Schichten [...] kaum zu überschätzen" sei. - Hachtmann, Berlin 1848,
S. 90.
[93] Karl-August Dronke, zit. nach Hachtmann,
Berlin 1848, S. 90. - Auch nach den Märzunruhen 1848 war es erst Hoffnung, nicht
Gewißheit, daß, so die Berliner "Spenersche Zeitung": "[...] auf den
Hochschulen statt des latinisierenden und graecisierenden Kastengeistes nun die freie
Wissenschaft ihr Haupt erhebe [und] ächte deutsche Universitäten [entstünden], welche
im Volke stehen und nicht mehr vorzugsweise Beamte aller Klassen, sondern freie
wissenschaftliche Geister bilden." Spenersche Zeitung vom 30. März 1848, zit. nach
Hachtmann, Berlin 1848, S. 363.
[94] Gegründet wurde sie 1365 von Herzog Rudolf
IV. (genannt ,Der Stifter`), vgl. Der Brockhaus in fünf Bänden, achte, neu bearbeitete
Auflage, Bd. 5, S. 582.
[95] Heindl, Waltraut: Staatliches System,
Bildungsbürgertum und die Wiener Revolution; In: Jaworsky / Luft (Hg.), 1848/49 -
Revolutionen in Ostmitteleuropa, München 1996, S.201.
[96] Die Berliner Universität hatte erst 1810
ihren Lehrbetrieb aufgenommen, Ribbe, S. 447.
[97] Violand, S.80 f.
[98] Professor der rationellen Politik und
Nationalökonomie.
[99] Professor des Natur- Staats- und
Völkerrechts.
[100] Violand, S.81.
[101] Hachtmann, Berlin 1848, S. 89-90.
[102] Die nicht unpolitische Gesinnung vieler
Studenten zeigte sich beispielsweise bei der Antrittsvorlesung des erzkonservativen
Philosophieprofessors Julius von Stahl, der am 26. 11. 1840 von Kultusminister Eichhorn
ausgerechnet auf den ehemaligen Lehrstuhl Hegels berufen wurde. Die Studenten quittierten
seinen Vortrag mit vernehmlichem Scharren und Zischen. - Obermann, Universität, S. 167.
[103] Varnhagen von Ense, Tagebücher, Bd. II,
S.234 (12/1843).
[104] Jeder Student mußte bei seiner
Immatrikulation einen vierseitigen Revers unterschreiben, in dem er sich verpflichtete,
keiner Burschenschaft beizutreten, anderenfalls sein Studienplatz verloren sei.- Obermann,
Universität, S. 168.
[105] Genauer wurde der Leseverein am 25. Juli
1843 gegründet, am 2. Oktober desselben Jahres aber bereits wieder verboten. Auch
wiederholte studentische Proteste gegen dieses Verbot Ende 1843 und Anfang 1844 änderten
an der ablehnenden Leitung der preußischen Regierung nichts: zu sehr fürchtete man
(obwohl sich der Verein ganz allgemein der "Weiterbildung" verschrieben hatte),
daß ein solcher Verein auch zum Treffpunkt für politische Diskussionen und über die
politische Willensbildung zur "revolutionären Brutstätte" würde. - Hachtmann,
Berlin 1848, S. 93-95; Obermann, Universität, S. 169-170.
[106] "Die Progreßler bemühten sich, die
Studentenbewegung mit der allgemeinen politischen Bewegung in Verbindung zu bringen und
die bestehende Kluft zwischen Bürgern, Arbeitern und Studenten zu beseitigen".
Inwiefern genau dies geschehen sollte, wird in Obermanns Aufsatz leider nicht beschrieben.
- Obermann, Universität, S. 169-172.
[107] Hachtmann, Berlin 1848, S. 98.
[108] Häusler, S. 175.
[109] Das Studiengeld lag bis 1848 bei 30
Gulden. Zum Vergleich: Ein niederer Beamter verdiente 500 Gulden im Monat.
[110] Heindl, S. 202.
[111] Füster war Priester und hatte an der
Universität eine Professur für Religionswissenschaft und Pädagogik. Vgl. Häusler, S.
424.
[112] Füster, Anton: Memoiren vom März 1848
bis Juli 1849. Beitrag zur Geschichte der Wiener Revolution, Frankfurt a. M. 1850, zit.
nach Zenker, Revolution, S. 92 f.
[113] Heindl, S. 203.
[114] Siemann, S. 58.
[115] Siemann, S. 61.
[116] Siemann, S. 67.
[117] Hachtmann, Berlin 1848, S. 127 - dort auch
eine Erklärung des ungewöhnlichen Namens des Lokals.
[118] Siemann, S. 67.
[119] Darin gefordert wurden "unbedingte
Preßfreiheit", "vollständige Redefreiheit", "sofortige und
vollständige Amnestie aller wegen politischer und Preßvergehen Verurtheilten",
"freies Versammlungs- und Vereinigungsrecht", "Verminderung des stehenden
Heeres und Volksbewaffnung", "schleunige Einberufung des vereinigten
Landtags", eine "Allgemeine Deutsche Volksvertretung," sowie "gleiche
politische Berechtigung Aller, ohne Rücksicht auf religiöses Bekenntnis und
Besitz." - Hachtmann, S. 127-8.
[120] Wollstein, S. 38.
[121] Siemann, S. 67.
[122] Wollstein, S. 38-9, Siemann, S. 67.
[123] Wollstein, S. 39.
[124] Die "Scharfmacher der
Hofkamarilla" (Pleticha) werden vielfach - wohl nicht ganz zu unrecht - als brutale,
erzreaktionäre ,Kriegstreiber` porträtiert. Zu dieser Fraktion gerechnet werden kann an
vorderster Front der ,Kartätschenprinz` Wilhelm, zwei Jahre jüngerer Bruder des Königs
Friedrich Wilhelm IV. und später ab 1857, als dieser schwer erkrankte, sein Vertreter.
Nach Friedrich Wilhelms IV. Tod 1861 regierte Wilhelm I. bis zu seinem eigenen Tod 1888,
ab 1871 auch als Kaiser des Deutschen Reiches. Neben Wilhelm wurden zur Kamarilla als
Berater Otto von Manteuffel und die Brüder Leopold und Ernst von Gerlach gezählt.
[125] Wollstein, S. 40.
[126] Der tatsächliche Einfluß der
Königsberater dürfte freilich kaum zu ermitteln sein. Ohne Frage hat die Kritik an der
,Hofkamarilla` in der Geschichte oft auch als versteckter Versuch der Aufrechterhaltung
eines idealisierten Königsbildes herhalten müssen - der König als gut beratener, aber
schlecht beratener Monarch.
[127] "Mit dem Rufe ,Verrath! Man schießt
auf uns!` stürzten in wilder Hast die Menschenschaaren, welche so eben noch den
Schloßplatz gefüllt hatten, und brachten mit furchtbarer Schnelligkeit die Kunde von
dem, was sich [dort] ereignet hatte, in alle Theile der Stadt [...] [B]ald war die ganze
Stadt Racheerfüllt gegen diesen neuesten Akt der militärischen Feindseligkeiten [...]
Ohne Sträuben, selbst von Seiten der Ruhe liebenden Bürger und Hauseigenthümer, wurde
das Straßenpflaster aufgerissen, wurden die Waffenläden in einem Augenblicke geleert,
wurden Beile, Aexte herbeigeholt, aus Wirtschaftsgeräten, Droschken, [...] Wollsäcken,
Tonnen, Balken, Brunnengehäusen usw. von tausend Händen Barrikaden gebaut, [...]
Pflastersteine auf die Dächer gebracht, [...] wurde mit einem Worte die ganze
Bevölkerung in einen kampfbereiten Körper umgewandelt." - Wolff,
Revolutionschronik, Bd. I, S. 133.
[128] Hachtmann, Berlin 1848, S. 178.
[129] "Die Bevölkerung Berlins hielt in
beeindruckender Weise zusammen, neben den jugendlichen Kämpfern taten sich ,Handwerker,
Arbeiter und Tagelöhner` hervor. Das auf der anderen Seite stehende, Artillerie
bedenkenlos einsetzende Heer fraternisierte nicht." - Wollstein, S. 41.
[130] Zum vollen Wortlaut: Wolff,
Revolutionschronik, Bd. I, S. 201-2.
[131] Was Wollstein, nicht ganz unplausibel, zu
der Bemerkung veranlaßt, mit ihm sei ein "Sündenbock" fortgeschickt worden, um
"den König zu entlasten." - Wollstein, S. 41.
[132] Wollstein, S. 41-2, 48. Zusätzlich
verweist Wollstein darauf, daß als Reaktion darauf demokratisch gesinnte Handwerker und
Arbeiter eine "Volkswehr" notdürftig bewaffneter Handwerker und Arbeiter
aufstellten.
[133] Siemann, S. 71: "Friedrich Wilhelm
machte [mit dem Umritt und der Proklamation] Konzessionen an das öffentliche Vokabular
[...]. Er gewann Zeit und vermied weiteres Blutvergießen." zum vollen Wortlaut des
Aufrufs: Wolff, Revolutionschronik, Bd. I, S. 299.
[134] Die demokratische Strömung in
Bildungsbürgertum und Arbeiterschaft war damit freilich noch nicht versiegt. Hierfür
kann exemplarisch die Gründung des "Politischen Clubs" (später
"Demokratischer Club") am 22. März durch Literaten, Handlungsdiener, Ärzte,
Gewerbetreibende und Arbeiter stehen - Keimzelle eines später durchaus einflußreichen
Zusammenschlusses der Linken.
[135] Erstmals wurde das höchste Regierungsamt
(das des Ministerpräsidenten) durch einen Bürgerlichen (den Präsidenten der Kölner
Handelskammer, Camphausen) bekleidet, sein Finanzminister war der Textilkaufmann David
Hansemann - ein "Pyrrhussieg des liberalen Bürgertums" (Siemann), da
Umwälzungen von diesem Kabinett keinesfalls zu befürchten waren. Freilich waren diese in
weiten Teilen des Bürgertums auch gar nicht gewünscht, und man beschied sich damit.
Zwischen März und Dezember 1848 wurden darüber hinaus sechs mal Minister dieses
Kabinetts ausgewechselt, "jedesmal einen Schritt näher zur Gegenrevolution" -
Siemann, S. 71.
[136] Zur Rückkehr des Militärs z.B.
Wollstein, S. 44.
[137] Häusler spricht hier von einem
sogenannten "Maschinensturm". Häusler, S.139ff. Dieser fand in Berlin kein
Gegenstück, vgl. Anm. 195 dieser Arbeit. - Zur der Lokalisierung der Berliner
Kampfhandlungen vgl. Punkt 5.1, Anm. [128] dieser Arbeit.
[138] Vgl. Punkt 5.1, Anm. 117 dieser Arbeit.
[139] Ein Verein des politischen
Bildungsbürgertums, in dem schon früh der Wunsch nach Reformen laut wurde.
[140] Siemann, S. 64 f.
[141] Bach, S. 1-90.
[142] Zit. nach: Wollstein, S. 30.
[143] Die Arbeiter waren freilich bei dieser
Versammlung in der Minderzahl. - Wollstein, S. 30.
[144] Diese Forderung war deshalb so bedeutend,
da die Zensurauflagen in Österreich extrem streng waren. Julius Marx schreibt in seinem
Werk "die Österreichische Zensur im Vormärz" hierzu: "[...] Jedenfalls
war die österreichische Zensur die umfassendste, die man sich denken kann. Von der
Grabinschrift bis zum Lexikon wurde alles Geschriebene oder Gedruckte, vom
Manschettenknopf bis zum Kupferstich, jede Abbildung geprüft." - Marx, S. 55 ff.
[145] Hierunter waren auch Hochrufe auf den
Kaiser und die liberalen Mitglieder des Kaiserhauses. An eine Absetzung oder gar
Vertreibung des Hofes dachte man zu diesem Zeitpunkt in keiner Weise.
[146] Bach, S. 8 f.
[147] Wollstein bezeichnet sie als
"`Taufrede` der Revolution in Ungarn" - Wollstein, S. 29. Die vollständige Rede
Kossuths ist zu finden in: Obermann, Karl: Flugblätter der Revolution, S. 84 ff.
[148] Eine eingehende Schilderung der Ereignisse
findet sich unter Punkt 5.2. dieser Arbeit.
[149] Zit. nach: Richard Wilhelm Polifka, Die
Revolution von 1848 im Spiegel der "Wiener Zeitung", Wien 1948, S. 24.
[150]Auch dies war keine Volksbewaffnung im
Sinne der Märzforderungen: Obwohl es in dem Gedränge auch einigen Arbeitern gelang, sich
zu bewaffnen, blieb die Bewaffnung im wesentlichen begrenzt auf Bürger und Studenten.
Vgl. Reschauer, Bd.1, S. 281.
[151] Der Fürst floh in der Nacht zum 15. März
heimlich aus der Stadt. - Reschauer, S.398.
[152] Reschauer, S. 388.
[153] Häusler, S. 143.
[154] Voller Wortlaut bei Reschauer, S. 418.
[155] Thielbeer, S. 109.
[156] Diese Einschätzung teilte auch die
preußische Regierung selbst. Am 16.Oktober 1847 beispielsweise schrieb der
Regierungsbevollmächtigte Ladenberg an Kultusminister Eichhorn: "Ein schnelles und
strenges Einschreiten, die sofortige Festnehmung [sic!] der wenigen eigentlich Schuldigen
und ernste Warnung der Irregeleiteten führten zur nachhaltigen Unterdrückung des
Unwesens auf hiesiger Universität. Seit damals [1843/33] ist ähnliches nicht wieder
vorgekommen, und wäre es der Fall, würde man sofort mit aller Strenge dagegen
vorgehen." - Universitäts-Akten Berlin, Lit.V, Nr. 7, Vol. I, Bl. 22, zit. nach
Obermann, Universität, S. 175.
[157] Hachtmann, Berlin 1848, S. 145.
[158] Thielbeer, S. 95.
[159] Prittwitz, Berlin, S. 83.
[160] Obermann, Universität, S. 186-88.
[161] Thielbeer, S. 93.
[162] Was dessen Frau, Prinzessin Augusta, dazu
veranlaßte, dem Kronprinzen ins englische Exil folgende Zeilen zu schreiben: "In
Berlin zeigen sich die Studenten als Deine eifrigsten Verteidiger, weshalb ihnen auch [der
Nachfolger Eichhorns im Kultusministerium] Schwerin in meinem Namen für die Erhaltung des
Palais danken wird, die sie allein zustande gebracht haben." - Zit. nach Obermann, S.
187. Freilich, so betont Thielbeer, ist diese Einschätzung nicht ganz richtig: "Die
Loyalität der Akademiker galt der preußischen Monarchie, nicht dem Kronprinzen
[...]" - Thielbeer, S. 94.
[163] Thielbeer, S. 93. - Unter den Gefallenen
vom März 1848 in Berlin fanden sich denn auch "nur" zwei Studenten. - Siemann,
S. 69.
[164] Wolff, Revolutionschronik, Bd. I, S.
154-57.
[165] Boerner, Erinnerungen, I, S. 127, zit.
nach Obermann, Universität, S. 186.
[166] Boerner, Erinnerungen, I, S. 130, zit.
nach Obermann, Universität, S. 184.
[167] Obermann, Universität, S.191.
[168] GstA, Rep. 76Va, Sekt. 2, Tit. X, Nr. 1,
Bd.III, Bl.266, zit. nach Hachtmann, S. 36.
[169] Nach Ansicht Karl-Walter Freys führte
diese Adresse "zum offenen Ausbruch der Unruhen am 13. März [...] und [zur] Bildung
einer akademischen Legion am 14. März 1848. - Frey, , S. 60 f.
[170] Reschauer, S. 147.
[171] Reschauer, S. 150.
[172] Eine Szene, die an das Verhalten der
gemäßigt liberalen Studenten Berlins wären des "Umritts" Friedrich Wilhelms
IV. am 21. März erinnert. - Reschauer, S. 411 f. Vgl. Punkt 5.1, Anm. [133]
dieser Arbeit.
[173] Vgl. Punkte 4.2.2.2 sowie 4.1.2 dieser
Arbeit.
[174] Vgl. die Beschreibung der
"Volksversammlung" vor dem Landhaus unter Punkt 5.2 dieser Arbeit sowie Anm. [143].
[175] Ausgenommen hiervon war lediglich die
theologische Fakultät.
[176] F. Peyer, Wiener Chronik (1850), März
Nr.15, zit. nach: Häusler, Massenarmut, S. 154.
[177] Die aus Bürgern gebildete Wiener
Nationalgarde verhielt sich offenbar ähnlich dem Berliner Militär, vgl. Anm. [196] dieser Arbeit. Zum Verhalten der Nationalgarde: K. Glossy, Wiener
Studien (1933), zit. nach: Häusler, S. 150.
[178] Zenker, Revolution, S. 115 f. Ähnlich
Violand, S. 69: "Wahr ist, daß auch die Bürger nach Preßfreiheit schrieen, aber
ihnen allein wäre sie nicht bewilligt worden [...] und was hätten selbst die
todesmutigen Studenten vermocht, wenn sie nicht das Proletariat mit ehernen Fäusten
umgeben hätte. Eine Revolution gelingt nur dem armen Volke in Hämdärmeln vereint mit
der begeisterten Jugend."
[179] Häusler, S. 139 ff. Der unter 6.1.1
zitierte Marsch Salis-Seewis` am 18. März zu den Borsigschen Arbeitern vor Berlins
Stadttoren war dagegen eher eine Einzelaktion.
[180] In diesem Zusammenhang ist auch ein
Ereignis, daß sich erst später, nämlich am 26. Mai 1848 abspielte, von Bedeutung: Zu
diesem Zeitpunkt drohte der akademischen Legion die Auflösung. Auch in diesem Fall zogen
die Studenten, ausgerüstet mit 30.000 Flugblättern, in die Wiener Vororte, um die dort
lebende Bevölkerung für ihre Interessen zu mobilisieren, was ihnen auch in diesem Fall
gelang. - Violand, S. 115 f.
[181] Das Zitat steht in auffälligem Kontrast
zu den Punkt 6.1.1 dieser Arbeit beschließenden Äußerungen der theologischen und
philosophischen Fakultäten der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität. - Reschauer,
Bd.2, S. 25.
[182] Siemann, S. 69.
[183] Hachtmann, Berlin 1848, S. 173-182.
[184] Prittwitz, Berlin, S. 17-8.
[185] Ludwig Rellstab, "Laßt Euch nicht
täuschen," in: Vossische Zeitung vom 7. März 1848, zit. Nach: Wolff,
Revolutionschronik, Bd. I, S. 55-6.
[186] Bergmann: "In einem Gewerbezentrum
wie Berlin waren für soziale Unruhen, politische Aufklärung und die Empfänglichkeit
für neue Ideen die besten Voraussetzungen gegeben." - Bergmann, Arbeiterschaft, S.
463.
[187] Wolff, Revolutionschronik, Bd. I, S. 56.
[188] Es wird auch kaum beschwichtigend auf die
Arbeiter gewirkt haben, daß ausgerechnet um diesen Zeitpunkt die Borsigschen Werke 400
von ihren damals 1200 Beschäftigten entlassen mußten, die Egellschen 100 von 150.
Insgesamt waren zudem Mitte März etwa 5-6000 Gesellen arbeitslos. - Hachtmann, Berlin
1848, S. 132.
[189] Mannheimer Abendzeitung vom 10. März
1848, zit. Nach: Wolff, Revolutionschronik, Bd. I, S. 53. - Als interessanter Kontrast
dazu sei hier ein weiterer Artikel aus der Vossischen Zeitung vom gleichen Tage zitiert:
"Glücklicherweise herrscht bei uns überall, abgesehen von der geistigen Aufregung,
welche natürlich unter den vorliegenden Zeitumständen nicht zu vermeiden ist, die
größte Ordnung und Ruhe. [...] Insbesondere verhalten sich unsere Arbeiter bisher
durchaus ruhig und die Aufregung beschränkt sich meistenteils auf die gebildeten Klassen.
[...] Unsere Straßen sind nie ruhiger und leerer gewesen als gerade jetzt." Offenbar
suchte man so das beunruhigte Bürgertum zu beschwichtigen. - Vossische Zeitung vom 10.
März 1848, zit nach: Wolff, Revolutionschronik, Bd. I, S. 53.
[190] Prittwitz, Berlin, S. 45-6.
[191] Hachtmann, Berlin 1848, S. 138.
[192] "Adresse der Arbeiter" vom
10./13. März 1848, zit. nach: Wolff, Revolutionschronik, I, S. 58. Offenbar hatte die
Berufung des Pariser Arbeiters Albert Martin am 26. Februar des Jahres an die Spitze des
neuen Ministeriums für Arbeit großen Eindruck auf den oder die Verfasser der Adresse
gemacht.
[193] Zit. nach Hachtmann, S. 154-5.
[194] Boerner, Erinnerungen, I, S.151, zit.
nach: Hachtmann, Berlin 1848, S.166-7.
[195] Zum Maschinensturm: Hachtmann,
Unterschichten, S.120, dort Anm. 19; zu nicht stattfindenden Plünderungen z.B. Hachtmann,
Berlin 1848, S.167: Als durch ein Versehen ein Backwaren-Verkaufsstand umgeworfen wurde,
nahmen die anwesenden Arbeiter nicht etwa die Gelegenheit wahr, die auf das Pflaster
kullernden Pfefferkuchen zu stibitzen, sondern legten sie, in direktem Kontrast zu den aus
der "Kartoffelrevolution" übermittelten Verhaltensmustern, ordentlich zurück.
Auch Varnhagen von Ense bestätigt, daß "nichts geplündert oder zerschlagen"
wurde. - Varnhagen von Ense, Tagebücher, Bd.4, S. 290.
[196] Zur Brutalität des Militärs: Hachtmann,
Berlin 1848, S. 159-162.
[197] Zit. nach: Wolff, Revolutionschronik, I,
S. 346.
[198] Brief Virchows vom 24. März an seinen
Vater, zit. nach Bergmann, Arbeiterschaft, S. 492.
[199] Frey, S. 81.
[200] Angeblich soll der Anblick dieses
"Feuerkranzes" ein derart bedrohlichen Anblick geboten haben, daß er
mitverantwortlich für den Rücktritt Metternichs wurde. Vgl. Siemann, 65 f.
[201] Violand, S.93 ff.
[202] Violand,.S.93 ff.
[203] Vgl. Pkt. 2.1 dieser Arbeit.
[204] Häusler, 150 f.
[205] Vgl. Pkt. 4.1.1 dieser Arbeit.
[206] Violand, S. 100.
[207] Häusler, S. 149.
[208] Reschauer, S. 384. - Die Szene vom 14.
März (vor der Erstürmung des Zeughauses durch die Arbeiter Wiens) aus der dieses Zitat
entnommen wurde, lautet ausführlicher zitiert: "Im Zeughaus selbst [waren] nur
etliche fünfzig Bewaffnete anwesend [...], die sich natürlich viel zu schwach fühlten,
um der aufgeregten Masse gegenüber mit Bitten oder gar mit Drohungen etwas auszurichten.
Auch waren unter ihnen einige sogar dafür, daß man so rasch als möglich alle
vorräthigen Waffen an das Volk vertheile, in der Ueberzeugung, daß es bald wieder zu
einem Kampfe mit dem Militär kommen werde, für den man Mithilfe der Volksmassen sich
versichern müsse. Zu diesem Zwecke schon hielt man es für nothwendig, daß die Arbeiter
bei Zeiten mit Waffen versehen werden. Diese Ansicht vertraten vorzugsweise die im
Zeughause anwesenden Studenten, während die Bürger gegen die Bewaffnung der Arbeiter
heftig Einsprache erhoben, in der Besorgnis, daß sich dann die blutigen Auftritte vor der
Mariahilfer-Linie auch in der inneren Stadt [...] wiederholen könnten."
[209] Thielbeer, S. 92.
[210] So fragt man sich, warum gerade die am
Ende von 6.2.1 zitierte Quelle über das veränderte "Kneipenverhalten" der
Arbeiter in keinem der für diese Arbeit genutzten Werke der Fachliteratur herangezogen
wurde, obwohl sie im häufig als Quelle genutzten Werk Wolffs gedruckt vorliegt - Fast ist
man versucht anzunehmen, daß sie dort schlicht nicht "ins Konzept" paßte,
deshalb nicht ernst genommen wurde.